Näher gebracht – immer näher! Ich habe es erfahren, daß die Annäherungsfähigkeit liebender Herzen zu jenen Dingen gehört, die keine Grenzen haben – wie zum Beispiel die Teilbarkeit. Man sollte glauben, ein Partikelchen sei schon so klein, daß es nicht kleiner gedacht werden könne, und doch: es läßt sich noch in zwei Hälften spalten; und man sollte glauben, zwei Herzen seien schon so ineinander verschmolzen, daß ein innigeres Einswerden nicht mehr möglich wäre, und doch: eine äußere Einwirkung und noch fester und näher – immer näher – umschlingen und durchdringen sich die Herzensatome.
So hatte Loris ziemlich geschmackloser Aprilscherz auf uns gewirkt, und so wirkte noch ein äußeres Ereignis, welches kurz darauf eintrat. Ein heftiges Nervenfieber nämlich, das mich sechs Wochen auf das Krankenlager warf. Ein an sich zwar trübes Ereignis – und doch wie fruchtbar an glücklichen Erinnerungen für mich und wie einflußreich auf den oben geschilderten Vorgang: das „Noch-näher-bringen“ von zwei so allernahesten Herzen. War es die Furcht, mich zu verlieren, die mich dem Gatten noch teurer machte, oder war mir seine Liebe nur noch offenbarer geworden durch sein Krankenwärter-Benehmen – kurz, während dieses Nervenfiebers und nach demselben fühlte ich mich noch viel mehr und noch viel sicherer geliebt als zuvor.
Vor dem Sterben hatte ich mich auch wohl gefürchtet. Einmal, weil es mir schrecklich leid gethan hätte, ein Leben zu verlieren, das mir so reich an
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 1, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/275&oldid=- (Version vom 31.7.2018)