„Martha fürchtet sich, den einzigen Sohn der Gefahr auszusetzen“, bemerkte Tante Marie, welche diesem Gespräche beiwohnte; „sie vergißt aber, daß, wenn es einem bestimmt ist, zu sterben, ihn dieses Los ebensogut im Bett als im Krieg ereilt.“
„Also, wenn in einem Kriege hunderttausend Menschen zu grunde gegangen sind, so wären dieselben auch im Frieden verunglückt?“
Tante Marie war um eine Antwort nicht verlegen.
„Diese Hunderttausend waren dann eben bestimmt, im Krieg zu sterben.“
„Wenn aber die Menschen so gescheit wären, keinen solchen mehr zu beginnen?“ warf ich ein.
„Das ist aber eine Unmöglichkeit“, rief mein Vater, und damit war das Gespräch wieder auf eine Kontroverse gebracht, welche er und ich des öfteren – und zwar stets in denselben Geleisen – zu führen pflegten. Auf der einen Seite die gleichen Behauptungen und Gründe, auf der anderen die gleichen Gegenbehauptungen und Gegengründe. Es gibt nichts, worauf die Fabel der Hydra so gut paßt, wie auf das Ungetüm: stehende Meinung. Kaum hat man ihm so einen Argumentenkopf abgeschlagen und macht sich daran, den zweiten folgen zu lassen, so ist der erste schon wieder nachgewachsen.
Da hatte mein Vater so ein paar Lieblingsbeweise zu Gunsten des Krieges, die nicht umzubringen waren.
1. Kriege sind von Gott – dem Herrn der Heerscharen – selber eingesetzt, siehe die heilige Schrift.
2. Es hat immer welche gegeben, folglich wird es auch immer welche geben.
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 1, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/289&oldid=- (Version vom 31.7.2018)