auf den Perron geflüchtet und dort mußte ich gerade das Ärgste mit ansehen: die Ankunft eines langen Zuges, dessen sämtliche Waggons mit Verwundeten gefüllt waren, und die Abladung der Letzteren. Die leichter Blessierten stiegen selber aus und schleppten sich vorwärts, die Meisten mußten aber unterstützt, oder gar getragen werden. Die verfügbaren Tragbahren waren gleich besetzt und die überzähligen Patienten mußten bis zur Rückkunft der Träger einstweilen auf den Boden gelagert werden. Vor meine Füße, auf dem Platze, wo ich auf einer Kiste saß, legten sie Einen hin, der unausgesetzt ein gurgelndes Röcheln ausstieß. Ich beugte mich herab, um ihm ein teilnehmendes Wort zu sagen, aber entsetzt fuhr ich wieder zurück und verbarg mein Gesicht in beide Hände – der Eindruck war zu fürchterlich gewesen. Das war kein menschliches Angesicht mehr – der Unterkiefer weggeschossen, ein Auge herausquellend … dazu ein erstickender Qualm von Blut- und Unratgeruch … Ich hätte aufspringen und fliehen mögen, doch ward mir totenübel und mein Kopf fiel an die hinter mir liegende Mauer zurück. „O ich feiges, kraftloses Geschöpf!“ – schalt ich mich – „was suche ich hier in diesen Jammerstätten, wo ich nichts – nichts helfen kann … wo ich solchem Ekel unterliege“ … Nur der Gedanke an Friedrich raffte mich wieder empor. Ja, für ihn, auch wenn er in solchem Zustande wäre, wie der Elende zu meinen Füßen, könnte ich Alles ertragen – ich würde ihn noch umfangen und küssen, und aller Ekel, alles Grauen versänke in das eine allbesiegende Gefühl – in Liebe – „Friedrich
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/057&oldid=- (Version vom 31.7.2018)