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Und die Sänger all im Sturme

Fassen, rupfen ihm den Kragen.

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Und entflohn zum nahen Turme

Lehrt der Star die andern Stare
Eines höhern Standpunkts Schule,
Gründend auf der Wetterfahne.

Klagt auch, daß die andern drunten

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Seine Hauptideen stahlen,

Macht ein kunterbunt Gemunkel,
Läßt in alle Welt es tragen.

Doch in den Begeisterungen
Weiß die Jungfrau nichts von allem,

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Sie hat nur vor Gott gesungen,

Lauschen gleich die Nachtigallen.

So vergleicht der hohen Schule
Er der hohen Linde Schatten,
Wo in überflüssgen Zungen

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Ihm Biondettens Sang verhallet.


Ach! er möchte hin zum Grunde
Stürzen dieses Baumes Schatten,
Oder in den Zweigen ruhend,
Die ihm bloß ertönt, betrachten.

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Doch ein Bild von Gottes Mutter

Steht auf einsamem Altare
Bei der Linde, ihre Kuppel
Wölbet ihm des Tempels Halle.

Ihm zur Seite steht ein Brunnen

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Einsam wie das Bild, es fallen

Leis der Linde Blüten runter

Auf den Spiegel seines Wassers.
Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_029.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)