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Und er sieht sie heilig knieen,

Wie er sie durchs Gitter sah,
Sieht sie dann die Glocke ziehen,
Da der böse Feind ihm nah,

Der die Farben ihm gerieben,

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Als ein heilig Bild er malt,

Und den Schuldbrief ihm geschrieben,
Den nur ewger Tod bezahlt.

Ach! auch sie ist da erschienen
Seinen Augen keusch und klar,

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Wie sie als Modell sollt dienen

Zu dem Bilde am Altar.

Mit den frommen heilgen Mienen,
Mit den Rosen in dem Haar;
Seinen Augen, brünstgen Bienen,

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Sie die süße Blume war.


Lust und Sünde sieht er wieder,
Bis sie tief im Elend starb,
Die Verzweiflung reißt ihn nieder,
Weil er sie durch Lust verdarb.

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Ach, daß alle Berge fielen

Und bedeckten ihn im Tal!
Wollten doch die Blitze zielen
Auf sein nacktes Haupt zumal!

Ach, daß alle Wasser stiegen,

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Und es säh der neue Tag

Öde, weite Fluten liegen,
Wo er heute weinend lag!

Möchte dann die Taube fliegen
Mit dem milden Frühlingsblatt,

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_086.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)