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Sich ein Friedensbogen biegen,

Wo er schwer gebüßet hat.

Aber weh! das Nachtgefieder
Schwingt der Rabe wild und hart,
Stürzt sich auf sein Haupt hernieder

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Das in bösem Traum erstarrt.


Kalte Schrecken um ihn fließen,
Und Entsetzen sträubt sein Haar:
Wehe, dorten auf den Wiesen
Werden die Gesichte wahr!

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An dem Walde ist erschienen

Eine weibliche Gestalt,
Von dem Haupte mondbeschienen
Das Gewand herniederwallt.

Gleich wie weiße Schwäne fliehen

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An der dunklen Wälder Rand,

Sieht er eine Nonne ziehen
Längs des Gartens Schattenwand.

Jetzt sieht er den Schleier fließen,
Sieht die Füße blank und bar,

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Sieht den Strick den Leib umschließen

Und die Rosen in dem Haar.

„Wehe, wehe, noch hienieden
Schwebst du, teure Seele, arm!
Wehe, wehe, noch kein Frieden!

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O, daß sich der Herr erbarm!“


Und der Schrecken reißt ihn nieder,
Doch ihn faßt kein kalter Arm:
„Vater, find ich so dich wieder?
O, daß Gott sich dein erbarm!“

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_087.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)