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Singt auf mondbeglänzter Schwelle
Zu kristallner Harfen Schalle:

115
     „Jungfrau, laut verkünden

     Von des Himmels Bühnen
     Engel deine Herrlichkeit;
     Und aus Meeres Gründen
     Steigt, dich zu versühnen,

120
     Was da lebt in irdschem Streit.“


Aber dunkle Wolken treten
Vor den Mond, das weite Wasser
Sträubt das Wogenhaar zu Berge
Vor den tosenden Orkanen.

125
     „Jungfrau voller Güte,

     Wie das Meer sich türme,
     Stehest du in Heiterkeit;
     Wie gefallne Blüten
     Schütten dir die Stürme

130
     Himmelssterne auf dein Kleid.“


Ach, im zorngen Elemente
Schwankt ein Schifflein notumklammert!
Leuchte, leuchte, Stern des Meeres,
Einer Mutter dich erbarme!

135
Ach, sie flehet nur zu retten

Ihren Säugling, den umarmend
An der Brust sie nährt zum Leben,
Schwankend selbst im Untergange.

Dir, o Meerstern, weiht sie betend

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Den sie unterm Herz getragen,

Nun zur Wogenwiege leget
Aus den sichern Mutterarmen.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_149.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)