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Das die Mutter untergehend
Legte in Mariens Arme.

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Die, ein heller Stern des Meeres,

Trägt den Scheiternden Erbarmen,
Hat es sicher durch die Wellen
In Sirenens Arm getragen.

Aus dem wilden Elemente

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Trug sie nun das Bild der Gnade

Freudig aufwärts zu dem Felsen,
Ganz in neuer Lieb erwallend.

Liebvoll löst sie ihre Flechten,
Teilt die Locken sich am Nacken,

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Bildet draus am warmen Herzen

Für das Mägdlein weich ein Lager.

Setzt sich an des Bildes Schwelle
Mit dem süßen Wunderpfande
Und spricht fromm: „O Stern des Meeres,

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Lasse mich dies Kind erlaben!“


Und nach ihren Brüsten wendet
Sich das Kind und findet Gnade;
Die es lebend hielt in Wellen,
Gab barmherzig ihm die Amme.

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Als die keuschen Lebensquellen

Über ihrem Herzen wallen,
Muß sie süße Blicke senken
Zu dem Kind in Mutterarmen.

Und dann singt sie; schlummerwebend

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Tönt das Lied und rauscht das Wasser,

Und es wandeln Mond und Sterne
Leise, daß das Kind entschlafe.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_151.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)