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„Da der Morgen wiederkehrte,
Lag ich in kristallner Kammer;

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Auf der weichen Purpurdecke

Spielten goldne Sonnenstrahlen.

Und am Mittag wiegt Sirene
Mich in glatten Muschelschalen,
Und ich schlief bis sie mich weckte

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Mit Gesang und süßer Harfe.


Rötet Abendlicht die Welle,
Trug sie mich in Mutterarmen
Zu dem Bilde, für mein Leben
Der Gebenedeiten dankend.

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Wenn um Mitternacht die Sterne

Sinnend in dem Meere schwankten,
Flocht mir durch den Traum Sirene
Ihrer Lieder heilge Schlangen.

Also in dem Tand des Lebens

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Und in Andacht schon erwachsen,

Nannte sie das Kind Biondette
Ob der goldnen Flut des Haares.

Frühe lehrt sie mich zu schweben
Auf des Tanzes Wunderbahnen,

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Früher noch die Blicke heben

Und zu Gott die Händlein falten.

Und sie lehrt die junge Seele
Sich erschwingen im Gesange
Und mit Engeln auf der Töne

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Himmelsleiter freudig tanzen.


Aber endlich sprach Sirene:
‚Folge mir in meine Kammer;

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_152.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)