Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 156.jpg

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Als die zarten Finger beben
Durch der Saiten goldnen Garten,

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Blühen ihrer Lippen Nelken

Und das Rosenfeld der Wangen.

Und sie sang ein Lied bewegend
Von dem Tode eines Lammes,
Das, die Schuld von uns zu nehmen,

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Starb in heilger Opferflamme.


Also schleiert sich in Nebel
Oft der Mond; aus keuschen Strahlen
Einen Heilgenschein sich webend,
Weint er um die trüben Tage;

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Also tönt ein Schwan im Sterben,

Der im Spiegel klarer Wasser
Stumm sein Sternbild angesehen,
Grüßt es scheidend im Gesange.

„Lebet wohl, ich will mich wenden

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Zum Gebirge; einsam wandelnd

Will die reine Tochter Jephtas
Weinen um die jungen Tage!

Weinen um den Schein des Lebens,
Weinen um den Duft des Kranzes,

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Weinen, daß die Seele heller

Scheine, als des Opfers Flamme!“

Und nun wendet sich Biondette
Trauernd zu dem Felsenpfade,
Der bald sichtbar, bald verstecket

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Aufsteigt an des Berges Rande.


Wo der Steg zu Tal sich wendet,
Stand sie grüßend mit der Harfe,

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_156.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)