Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 263.jpg

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Eine Seele triumphieret,
Deren Tod mich hoch ergötzte.

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Solchen Tod laß mich gewinnen,

Herr, nach einem solchen Leben,
Laß mich mit so klaren Sinnen
Dir die Seele wiedergeben!

Denn in deinen Händen liegen

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Alle demutvollen Herzen,

Wie die Kindlein in den Wiegen,
Still entschlummert, ohne Schmerzen.“

Also sang sie, und geschwinde
Eilt sie auf verschlungnen Wegen,

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Und schon höret sie die Linde

Nächtlich grüßend sich bewegen.

Rascher flügelt sie die Schritte
Ihres Hauses Tor entgegen,
Da begegnet ihrem Tritte

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Klirrend ein entblößter Degen.


Ach, und weiter noch zwei Schritte
Liegt, vom Mantel leicht bedecket,
Der den bösen Mord erlitten,
Stumm ein Jüngling ausgestrecket!

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Da sie zu ihm niederblicket,

Will er noch die Blicke heben;
Den der Tod schon fest umstricket,
Kann die Schönheit noch beleben.

Gleich dem frommen Samariter

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Hebt die mutige Biondette

Mühsam nun den toten Ritter,
Trägt ihn hin nach ihrem Bette.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_263.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)