Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 265.jpg

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In der Spiegel Widerschimmer
Gold und Silber freudig scherzen.

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Ihres Putzschranks Flügeltüren

Öffnet sie mit leichten Händen,
Daß ein eitles Triumphieren
Rings entstrahle allen Wänden.

Und die falschen Götterbilder

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Schmücket sie mit Flitterkränzen,

Aus dem Schoße goldner Schilder
Läßt sie seidne Röslein glänzen.

Reiherbüsche pflanzt sie flitternd
Auf des Boden Purpurdecken,

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Diamantne Nadeln zitternd

Zäumt sie ein mit Federhecken.

In der Torheit Garten glimmend
Rüstet sie ein Weihrauchbecken,
Daß die Weihrauchwolken schwimmend,

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Lüstern halb den Glanz bedecken.


Weh! wer hat sie so verrücket?
Alle Blumen muß sie brechen;
Wie des Wahnsinns Braut geschmücket,
Muß ihr keusches Herz erfrechen.

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Schamlos tritt sie vor den Spiegel,

Ihre Brust zu Tag zu legen,
Weh! da blicket Gottes Siegel,
Die Goldrose ihr entgegen.

Doch sie ist so tief verstricket,

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Nichts kann ihre Glut erschrecken,

Ihre Blöße sie entzücket,
Und sie mag sich nicht bedecken.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_265.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)