Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 266.jpg

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Und mit süß vertrauten Blicken
Sitzt sie auf des Jünglings Bette;

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Weltlicher nicht konnt sie blicken,

Wenn sie nie gebetet hätte.

Und sie fühlt in allen Sinnen
Ein unheiliges Ergötzen
Wild durch ihre Adern rinnen,

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Und sie muß die Zucht verletzen.


Seine Lippen, seine Stirne,
Ihren Namen ihm am Herzen,
Küsset heiß die arme Dirne
Unter süß berauschten Schmerzen.

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Und in seinen Locken spielen

Ihre zarten Hände bebend,
Doch umsonst die Küsse zielen,
Seine Lippen nicht belebend.

An den Busen ihn zu drücken,

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Seinen Namen laut zu nennen,

Fühlet sie ein wild Entzücken,
Doch er will sie nicht erkennen.

„Meliore,“ spricht sie liebend,
„Deine Augen zu mir wende,

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Süßen Dank der Huld ausübend,

Die ich zärtlich dir verschwende!

Sieh, es will der gütge Himmel
So dich an das Herz mir legen,
Wie ich in des Brands Getümmel

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An dem deinen bin gelegen!


Wenn du auch nicht wiederküssest,
Winkend nur ein Zeichen gebe,

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_266.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)