Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 267.jpg

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Mir zum Troste, daß du wissest,
Wie ich dich nicht überlebe!“

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Und die Harfe nimmt die Süße,

Läßt die Saiten wild erbeben;
Ach, die heißen Liebesgrüße
Können nicht sein Aug erheben.

Keuscher Tod, du drückst sie nieder,

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Solche Raserei zu sehen,

In dem Klang der giftgen Lieder
Soll er sie nicht wiedersehen.

„Ihn, den meine Seele liebet,“[1]
Singt sie, „sucht ich in dem Bette,

215
Sucht ihn durch die Straßen ziehend,

Fand ihn doch an keiner Stätte.

Und ich fragt die Wächter bittend,
Die da durch die Straße gehen:
Ihn, den meine Seele liebet,

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Habet ihr ihn nicht gesehen?


Und vorübergehend finde
Ich den Liebsten meiner Seele,
Ihn mit Rosenketten binde,
Ihn auf ewig mir vermähle!

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Und ich halt ihn, laß ihn nimmer,

Den ich fand auf meiner Schwelle,
Führ ihn in der Mutter Zimmer,
Führe ihn in meine Zelle.

Sieh, ich bin ein Rauch von Myrrhen,

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Auf sich aus der Wüste hebend,

Und, wie Bienenschwärme irren,
Küsse meinem Mund entschweben.

Anmerkungen des Herausgebers

  1. [403] Zu den folgenden Gesängen, die Biondetta in Liebesraserei singt, in welche sie sich durch das Gift aus Meliores Wunde versetzt hat, diente dem Dichter das „Hohe Lied“ als Vorbild, aus welchem er einzelne Stellen direkt entnommen hat, und zwar, wie Michels richtig bemerkt, nach der lutherischen Übersetzung.
Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_267.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)