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Einer Palme aufwärts dringend
Gleichet meines Leibes Länge,

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Wie der Wein hinan sich schlinget:

O, wer sich hinan so schwänge!

Laß uns durch die Felder ziehen,
Ob uns sieht das Aug der Reben,
Ich will, wenn Granaten blühen,

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Dort dir meine Brüste geben.


Dich, der meiner Mutter Brüste
Saugte, Bruder, dich den Schönen,
Wenn ich dort dich brünstig küßte,
Ach, wer wollte mich verhöhnen!“

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Als sie diesen Frevel singet,

Springt sein Blut ihr neu entgegen;
Der Verband, der Hilfe bringet,
Kann die Raserei nicht legen.

Und von ihrem Nonnenbilde

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Reißt sie in der Angst die Decke,

Daß damit das Blut sich stillte,
Und es dienet ihrem Zwecke.

Als sie zu dem Bilde blicket,
Fühlet sie ein tief Erschrecken,

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Scham sie wie ein Schwert durchzücket,

Und sie eilt, sich zu bedecken.

Von des Bildes Augen fließen,
Wunder Gottes! bittre Tränen,
In die Arme muß sies schließen,

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Ach, sie möchte es versöhnen!


Und dem Bilde gegenüber
Sitzt zur Harfe sie am Bette,

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_272.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)