Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 274.jpg

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In dem Tode hallt es wider;
Schüchtern zu des Lebens Schwelle

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Rufen ihn die Zauberlieder,

Seine Blicke werden helle.

Wer erklärt ihm die Gesichte,
Wer ergießt des Himmels Segen?
Ist so mild das Weltgerichte,

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Kommt die Gottheit ihm entgegen?


„Süßer Tod, den ich erlitten!
Goldne Töne zu mir gehen,
Selig in des Himmels Mitten
Soll ich wieder auferstehen!“

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Aus Biondettens frommen Mienen

Strömet ihm das selge Wähnen,
Gottes Mutter sei erschienen,
Und er betet unter Tränen.

Doch die arme Jungfrau singet

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Unter bittren, bittren Tränen,

Während sie die Hände ringet:
„O, welch schmerzlich glühes Sehnen!

Schwarz bin ich, doch voller Liebe,
Wie die Hütten Kedars stehen,

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Wie die bunten Teppche schimmernd

Salomons im Tempel wehen.

Die Weingärten zu behüten,
Setzten sie mich ein zum Wächter,
Meinen konnt ich nicht behüten,

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Von Jerusalem ihr Töchter!


Wie der Tod so stark ist Liebe,
Fest der Eifer wie die Hölle,

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_274.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)