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In den goldnen, lieben Morgen,
Der auf Turmesspitzen lacht.

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Sonn und Vogel golden lachet

Auf dem Kreuz, das himmlisch thront,
Und es sinket überwachet
In das Licht der blasse Mond.

Durch den grauen Morgen dringet

30
Der prophetsche Hahnenschrei,

Und die Schwalbe dichtend singet
Ihres Traumes Phantasei.

Sieh, in einem frommen Blitze
Fängt das Kreuz den Sonnenschein,

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Senkt ihn von des Turmes Spitze

In die stillen Straßen ein.

Und der Bettler, der geschlafen
Vor des Palasts Säulenkranz,
Hebt sich, da ihn Strahlen trafen,

40
Still und dreht den Rosenkranz.


Und es gehet Rosablanke
Durch das römsche Tor herein,
Eine Kerze trägt die Schlanke
Und ein Kännlein Opferwein.

45
Als sie an des Altars Stufen

Vor Biondettens Wohnung steht,
Will die Tänzerin sie rufen,
Daß sie mit zur Kirche geht.

Aber wie ward sie betroffen!

50
An dem kleinen, stillen Haus

Steht die Türe nächtlich offen:
Ging so früh die Jungfrau aus?

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_296.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)