Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 297.jpg

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Nein, dann hätte sie geschlossen
Ehrbar hinter sich das Tor.

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Und nun steigt sie unverdrossen

Zu der Kammer leis empor.

Und sie findet ganz zerrücket
Dieser Stube Ebenmaß,
An der Erde lag zerstücket

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Manche Urne, manches Glas.


Blumen, Federn bunt zerstreuet
Und Gewänder hie und da,
Das, was gestern sie erfreuet,
Heute sie mit Schrecken sah.

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Die zerrissnen Perlenschnüre

Säten eine Tränensaat
Zu des Schlafgemaches Türe,
Der sich Rosablanka naht.

Und sie pochet: doch die Kammer

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Schweiget, und sie geht hinein.

Ach! Da tritt in tiefern Jammer
Noch die bange Jungfrau ein.

Weh, das Bettlein blutbeflecket,
Und zerstört das Saitenspiel!

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Rosablanka tief erschrecket

Auf die Kniee niederfiel.

Zu dem kleinen Nonnenbilde
Rief sie unter Tränen aus:
„O, du Antlitz, ernst und milde,

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Blut und Tod befleckt dies Haus!“


Und mit Angst und mit Entzücken
Fühlte sie, wie wundervoll

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_297.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)