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Aus des Bildes stillen Blicken
Eine helle Träne quoll.

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Und so ganz von Angst durchdrungen

Weilt sie in dem bösen Haus,
Streckt die Hände schmerzgerungen
Zu dem Morgenlichte aus.

Wie verspätete Gespenster

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Gaben hundert Kerzen Schein,

Tiefgebrannt, und durch die Fenster
Sah erschreckt der Tag herein,

Den die Nachtigallen grüßen
Auf des Fensters Gartenbeet,

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Wo ihr Bauer unter süßen

Blumen eingezäunet steht.

Rosablanka geht zum Bauer,
Läßt die Sängerinnen frei:
„Flieht und sucht, wo eurer Trauer,

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Meiner Trauer Heldin sei!


Schwinget euch zu ihrer Leiche,
Rufet ihren Mörder aus,
Daß die Rache den erreiche,
Der befleckt dies heilge Haus!“

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Und die kleinen Vögel lenken

Zu dem Lichte erst den Flug,
Werden aber bald sich schwenken
Nach des Herzens innrem Zug,

Wie das Schiff vom Lande rauschet

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Freudig erst ins Element

Und die freie Lust dann tauschet
Mit des Schiffers Ziel und End.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_298.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)