Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 299.jpg

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Doch nun kömmt der kleine Knabe,
Dem sie gestern am Altar

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Teilte ihre Honigwabe,

Sprach mit seiner Stimme klar:

„Rosablanka, nicht vergesse
Über dieses Hauses Schmerz
Deiner Mutter Totenmesse,

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Trage ins Gebet dein Herz!


Größre Trauer zu bestehen
Stehet deiner Seele vor,
Durch die Dornen mußt du gehen
Zu des Himmels Rosenflor!

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Es verließ die kleine Zelle

Schon der treue Gottesmann,
Kerzenhell ist die Kapelle
Und der Glockenruf getan.

Zünde deine Schlangenfackel

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An der ewgen Lampe Licht,

Sie sei vor dem Tabernakel
Des Erlösers aufgericht!“

Rosablanka spricht: „O sage
Mir, du blondes Wunderkind,

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Ob ich die, um die ich klage,

Je im Leben wiederfind?“

Und er sprach: „Die Seele stehet
Wieder licht in Gottes Hand,
Nur der Leib, der irdisch gehet,

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Ist dem Dunkel zugewandt!“


Und nun wendet er sich stille,
Und die Jungfrau folget nach.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_299.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)