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Wo sie ruhet, wo sie gehet,
Dieses Bild sie nie verläßt.

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Doch nun steckt sie Kosmes Kerze

An der ewgen Lampe Glut,
Will sie dann mit frommem Schmerze
Pflanzen, wo die Mutter ruht.

Doch sie findet aufgedecket

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Der geliebten Toten Gruft,

Und: „O Jungfrau, nicht erschrecke!“
Eine Stimme zu ihr ruft.

Und es tritt der blonde Knabe,
Der sie bis hierher geführt,

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Lächelnd aus dem offnen Grabe

Zu ihr, die sein Anblick rührt.

Denn es war, als stieg das Leben
Aus dem schweren, tiefen Tod;
Also wird ein Engel schweben

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In dem letzten Abendrot.


Und er wird der Sonne winken,
Die dann sinket nimmermehr,
Und die Erde wird ertrinken
In des ewgen Lichtes Meer.

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Alle Schatten werden leuchten,

Alles Dunkel wird erglühn,
Und die Welten werden beichten
Vor dem Lichte auf den Knien.

Und der Knabe sprach: „Geschauet

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Hab ich Rosarosens Gruft,

Wo sie heut wird Gott vertrauet,
Bis der Herr uns alle ruft.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_302.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)