Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 304.jpg

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Der den Ring bei der Kapelle
Reißen wollte von der Hand;

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Den sie eng mit sich verbunden

Dann in heimlichem Gesicht,
Das sie tief verschweigt, gefunden;
Beten, ach! vermag sie nicht.

Neben ihr das Licht als Schlange

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Und die offne Totengruft,

Und der Mann, macht ihr so bange,
Und der tausend Rosen Duft.

Was sie nimmer hat gefühlet,
Woget durch die keusche Brust,

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In dem Herzen brennt und kühlet

Ihr ein Leid und eine Lust.

Immer muß sie nach ihm sehen,
Ob er nicht sein Antlitz kehrt,
Und vor Scham möcht sie vergehen,

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Wenn er ihren Wunsch gewährt.


Und in züchtig bangen Schmerzen
Werden tausend Wünsche frei;
Ach, sie wünscht, verwirrt im Herzen,
Daß er eine Jungfrau sei.

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Und sie möchte mit ihm gehen

In vertrauter Liebeswahl,
Möchte mit ihm niedersehen
Von dem Berge in das Tal.

Würde er wohl träumend schweigen,

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Wenn ein Abendvogel singt?

Würde er die Hand mir reichen,
Wenn die Sonne untersinkt?

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_304.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)