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Das was im Kampfe schwer ringender Zeiten die Völker des Ostens auf den Gebieten der Erfahrung, der Erkenntniß und der Veredelung des Geistes erreicht hatten, es hatte sich unbewußt auf die neuen Helden der weltgeschichtlichen Schaubühne vererbt, auf die der vorwärts schreitende Zeitgeist unsichtbar den Fuß gesetzt hatte. Aber der jungen, von frischem Geistesleben erfüllten Welt erschien die Größe der Ahnmutter im Osten nur noch wie ein Bild schwacher Erinnerung im Lichte des Mährchens und der Sage, ein Bild, das sich um so mehr verwischte und in dem Grade in den Hintergrund zurücktrat, je schneller die Epigonen der Menschheit, getrieben vom unsichtbaren Weltgeiste, auf der neuen Bahn der Weltgeschichte zu neuen Zielen anstrebten.

Und ihre Wegmesser? Es waren wiederum die einfachen schlichten Buchstaben, und sie sind es geblieben bis auf den heutigen Tag.

Die Erbschaft, welche die junge Welt im Westen vom Osten übernommen hatte, ist zu einem Kapitale angewachsen, das unberechenbare Zinsen getragen hat und nicht aufhören wird zu tragen. Wenn das kleine Vermächtniß im Anfang nicht hinreichte, den unmittelbaren Erben die Wege zu der geheimnißvollen Ahnmutter zu öffnen, so ist gegenwärtig die Zeit erschienen, das Versäumte nachzuholen, sind auch die Abstände vom Ziele seitdem größer geworden.

Wir sehen im Osten die längst untergegangen geglaubte Zeit von Neuem aus dem Grabe erstehen. Wir treten die Gesammt-Erbschaft an. Die Denkmäler mit ihren Tausenden von Inschriften fangen an sich zu beleben und wie von einem Zauberstabe berührt erzählen uns die Königspalaste an den Ufern des Euphrat und Tigris ebensowohl als die Tempel und Gräber im engen Nilthale von den Werken und Thaten der damals

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Heinrich Brugsch: Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift. C. G. Lüderitz’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1868, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brugsch_Bildung_Entwicklung_Schrift_1868.pdf/26&oldid=- (Version vom 31.7.2018)