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Die Apostel der Neunten Symphonie haben von der Tiefe in der Musik eine besondere und nicht ganz festumrissene Schätzung.

Die Tiefe wird zur Breite, und man trachtet, sie durch Schwere zu erreichen: sie zeigt sich sodann – durch Gedankenassoziationen – in der Bevorzugung der „tiefen“ Register und (wie ich beobachten konnte) auch in einem Hineindeuten eines zweiten, verborgenen Sinnes, meist eines literarischen.

Wenn auch nicht die einzigen Merkmale, so sind doch diese die bedeutsameren.

Unter Tiefe des Gefühls dürfte jedoch jeder Freund der Philosophie das Erschöpfende im Gefühle betrachten: das volle Aufgehen in einer Stimmung.

Wer mitten in einer echten, großen karnevalischen Situation griesgrämig oder auch nur indifferent herumschleicht, wer nicht von der gewaltigen Selbstsatire des Masken- und Fratzentums, der Macht der Unbändigkeit über die Gesetze, dem freigelassenen Rachegefühl des Witzes mitgerissen wird, der zeigt sich unfähig, sein Gefühl in die Tiefe zu senken.

Hier bestätigt sich wieder, daß die Tiefe des Gefühls in dem vollständigen Erfassen einer jeden – selbst der leichtfertigsten – Stimmung ihre Wurzeln hat, – im Wiedergeben ihre Blüten treibt: wohingegen die gangbare Vorstellung vom tiefen Gefühle nur eine Seite des Gefühls im Menschen herausgreift und diese spezialisiert.

In dem sogenannten „Champagnerlied“ aus Don Giovanni liegt mehr „Tiefe“ als in manchem Trauermarsche oder Notturno: Tiefe des Gefühls äußert sich auch darin,