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dieselben verträumten Wege mit den gemächlich dahinziehenden Leuten. Als Malerei steht diese Zeit vielleicht über allen anderen Perioden; die „Diligence“, die Regenstimmung mit dem Postwagen bei Moreau Nélaton, vorher die Landschaft von Roche-Guyon bei May und, noch aus dem Jahre 65, die Eselcavalcade bei Faure sind kleine köstliche Perlen von zartester Intimität. So eng sie sich an Corot anlehnen, der Unterschied, den Pissarro bringen konnte, ohne zu verlieren, ist hier schon deutlich. Die Mache ist nicht die unbegreifliche altmeisterliche Kunst der gehauchten Corots, sondern gleich anfangs breiter im Strich, am bedeutendsten in der grossen Landschaft bei Vollard aus dem Jahre 64, Varenne-St. Hilaire. Man spürt Manet darin; die breite Einfassung des Sees mit der leuchtenden weissen Mauer hat der Maler des Déjeuner sur l’herbe suggeriert. Die Bilder des Jahres 69 aus Pontoise zeigen deutlich, wie der Geist Manets mit Corot um die Seele des Malers ringt. Es kommt nicht zu der ganz entschiedenen Aeusserung wie bei Monet, Renoir, Cézanne, die

CAMILLE PISSARRO, DAS WEHR

um diese Zeit, von Manets rapider Schöpfung angefeuert, ihre grössten, schlechterdings monumentalen Werke vollbringen und in diesem Moment nur in der Darstellung des Menschen in der Natur würdige Gegenstände finden. Pissarro bleibt der Landschafter; er ist von einfacherer, ärmerer, ganz und gar nicht pathetischer Rasse. Er unterscheidet sich schon dadurch vollkommen von den Anderen, dass er von Delacroix, der namentlich Manet, Cézanne und Renoir ganz ausschlaggebend bestimmte, so gut wie unberührt blieb. Auch Monet hat das Stück Delacroix vor Pissarro voraus. Bei ihm ist am deutlichsten, dass es nicht das Pathos allein war, was Delacroix geben konnte. Es ist eine grössere, umfassendere, monumentale Art von Gestaltung; die Fähigkeit an allen vier Ecken des Bildes gleichzeitig zu malen, die Welt mit mächtigem Griff von aussen in das Bild zu drängen, wie es Delacroix that, als er die Dantebarke machte. Pissarro hat nie das Genie, die Welt in einem Griff zu umspannen, das grösste, was die Kunst vermag, weil es grösste Einheit, grösste Macht verleiht,

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Julius Meier-Graefe: Camille Pissarro. Cassirer, Berlin 1904, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Camille_Pissarro_(Julius_Meier-Graefe).pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)