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„Welches Land, o Fremdling, ist
Deine Heimath? Welcher Erd-ent-
sprossenen Sterblichen dunkeler Schooss
Brachte dich an’s Licht? Durch hassenswerthen Trug schände nicht
Dich selbst und nenne dein Geschlecht uns.“
Und beherzt entgegnet’ in freundlichem Wort
Iason dies: „ich bringe die Schule des Cheiron,
Hoff’ ich, mit; aus waldiger Kluft des Kentaurs
Von Chariklo komm’ ich und Philyra, wo
Mich seine keuschen Töchter pflegten,
Habe vollendet das zwanzigste Jahr und nie in Worten
Oder in Werken daselbst
Unlauter mich bewiesen; nun
Kam ich heim, um meines Vaters
Alte Gewalt mir zu nehmen, die nicht
Nach Gebühr verwaltet wird, die Zeus dem Volksherrscher einst,
Aiolos, und seinem Stamm gab.
Denn ich höre, Pelias habe den Thron,
Bethört von blassen Neides Groll,
Unserem Vater geraubt,
Trugvoll, gewaltsam, und er besass ihn mit Recht.
Aison, als ich kaum das Licht sah,
Fürchtend des herrischen Manns
Trotzigen Übermuth, erhob, als wär’ ich todt,
Um mich in dem Königspalast
Die Klage der Trauer und sandte mich dann,
Umhüllt von Purpurwindeln, insgeheim, indess
Wehklagten die Frau’n,
Meinen Pfad heimstellend der Nacht, in die Hut
Cheiron’s hin, des Kronossohnes.
Doch ihr kennt von Allem das Wichtigste nun.
Jetzt, Bürger, zeigt mir der wackeren Väter
Königshaus, die prangten auf leuchtendem Ross.
Denn des Aison Sprosse von heimischem Stamm,
Nicht fremd in fremdem Land erschein’ ich;
Und von dem göttlichen Cheiron empfing ich Iason’s Namen.“

Über das Auftreten des heimkehrenden Iason mit nur einem Schuh berichtet Apollonios (I. v. 8/11) und auch Apollodor (I. 9, 16), dass er den andern beim Durchwaten des Flusses Anauros verloren hatte. So wurde nach Götterrathschluss, anscheinend wie durch Zufall, der Spruch des Orakels, wie er dem Pelias einst gegeben war, erfüllt.

Der Text der Koch’schen Stiche giebt theils wortgetreu, theils umschrieben die Erzählung Pindar’s ausführlich wieder.





Tafel 2. Iason beim Orpheus.

Iason fordert nun von Pelias die Herrschaft zurück. Aber dieser hatte schon auf einen Ausweg gesonnen, und indem er mit grosser Gelassenheit bejahend antwortete, suchte er zugleich durch Vorspiegelung eines Traumgesichtes den Iason aus Iolkos zu entfernen. Pindar (v. 254 u. ff.) lässt ihn so reden:

„Du könntest nun sühnen den Groll
Der Götter des Todes; denn Phrixos ermahnt
Uns heimzuholen seinen Geist, hinschiffend nach
Aietes’ Palast,
Nach dem Vliess des wolligen Widders, worauf


Empfohlene Zitierweise:
Herman Riegel (Hrsg.): Carstens Werke. Dritter Band: Der Argonautenzug. Alphons Dürr, Leipzig 1884, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Carstens_Werke_3._Band_Argonautenzug.pdf/14&oldid=- (Version vom 14.2.2021)