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Thiere,

Sinnbilder der Leidenschaften und auseinandergehenden Menschensinne. Im Paradiese lebten alle Thiere in Harmonie und thaten einander nichts zu Leide. Vgl. den Artikel Paradies. Erst nach dem Sündenfall der Menschen wurden die Thiere wild und feindeten einander an, wie Kain den Abel. Die seitdem unter den Thieren entzündete Gier und Wuth correspondirt mit der durch den Sündenfall in Adam zerstörten Harmonie der menschlichen Seelenkräfte und deren Gegeneinandertoben. Im künftigen Paradiese aber sollen die Thiere zu dem alten Frieden zurückkehren. Jesaias 65, 25. Deshalb nahmen schon die ältesten Christen im römischen Reich den antiken Orpheus, dessen Gesang die wildesten Thiere zähmt, zum Vorbild Christi. Dem gefallenen Adam unter den auseinanderlaufenden Thieren des Paradieses steht hier der neue Adam unter den wieder vereinigten gegenüber. Vgl. den Artikel Orpheus. Nach den apokryphischen Evangelien liefen, als die heilige Familie nach Aegypten floh, in der Wüste alle Thiere herbei, um in friedlicher Eintracht das Christkind anzubeten. Hofmann, Apokr. S. 141. So sammeln sich auch alle Thiere der Arche Noä in einem lieblichen Garten um die Mutter mit dem göttlichen Kinde in einem alten Kölner Volksliede. Weyden, Kölns Vorzeit S. 268. Die Gabe, den Thieren ihre paradiesische Friedsamkeit zurückzugeben, wohnt auch vielen Heiligen inne. Der Mensch übt eine magische Gewalt über die Thiere; er theilt ihnen seinen Gottesfrieden mit, wie das Gegentheil. Begreiflicherweise sind es in der Legende zumeist Einsiedler im wilden Wald und in den Wüsten, oder in unbekannte Wildnisse eindringende Bekehrer, denen sich die Thiere dienend zugesellen. Der heilige Didymus, ein ägyptischer Einsiedler des 4ten Jahrhunderts, besass Gewalt über alle giftigen Thiere, so dass ihn keines verletzen und er jedes, wie er wollte, anfassen, treten oder tödten konnte. Leben

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_480.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2023)