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Wilhelm Löhe: Vom Schmuck der heiligen Orte, Dictat aus den Jahren 1857/58, abgedruckt im „Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau“ 1859/60

Vom Bibellesen.
(Schluß.)
II.

 Das Lesen der heiligen Schriften, wie es in dem vorigen § dargelegt worden ist, könnte man mit Ausnahme des statarischen auch ein katechetisches Lesen nennen, weil der Zwek, den man dabei hat, kein anderer ist, als der, sich zu unterrichten. Nun gibt es aber auch ein kirchliches Lesen, bei welchem man nicht dem Faden der heiligen Schriften und ihrer Büchern, sondern dem des Kirchenjahres folgt. Dieses Lesen könnte man zum Unterschied von dem katechetischen ein liturgisches Lesen nennen. Bei diesem liturgischen Lesen ist eine dreifache Art der Veranstaltung zu unterscheiden. Entweder man liest die Lectionen des Gedächtnisses JEsu, wie sie von Alters her seit mehr als 1400 Jahren an den gefeierten Tagen vorgetragen zu werden pflegten, die sogenannten alten Meßlectionen, oder man liest gleichfalls nach dem herrschenden Gedanken des Kirchenjahres die täglichen Horenlectionen, oder endlich man liest die Lectionen zum Gedächtnis der Heiligen Gottes an den ihnen zugeschriebenen bestimmten Gedächtnistagen. Man kann dagegen nicht einwenden, daß man ja damit der römisch-katholischen Kirche folge, denn diese Lectionen sind weit älter, als die römische Kirche selber, und man folgt bei ihrer Lesung nicht dieser Kirche, sondern einem viel höhern Altertume. Auch würde man sich keineswegs schämen müßen, sogar von der römischen Kirche Lectionen anzunehmen, wenn sie recht und gut sind. Nun ist es aber offenbar, daß die alte Leseordnung, und insonderheit die sogenannten Meßlectionen ein großes unerreichtes und wol auch unerreichbares Kunstwerk sind; warum sollte man also das nicht annehmen dürfen, zumal wenn die lutherische Kirche hinter allen ihren Bibeln für die gewöhnlichen Sonn- und Feiertage selbst allermeist keine andern Lectionen hat und gibt. Die lutherische Kirche ist bereits mehr als 300 Jahre alt, aber sie hat bis zur Stunde kein Lectionarium in ihrer Mitte entstehen sehen, welches allgemeine Anerkennung fand; wir haben durchaus nichts, was nur von ferne einen Vergleich mit dem antiken Lectionarium aushalten könnte. Daher wird gar nichts übrig bleiben, als sich je länger je mehr zu der vortrefflichen Lectionenwahl zurückzuwenden, welche so lange schon gilt. Das ganze System der alten Lectionen nur mit den unabweisbaren Aenderungen wird man demnächst im zweiten Theil des Hausbuches finden sammt der nötigen Anweisung, es zu gebrauchen. Ein Urteil über dies System kann man aber so schnell nicht finden, man muß sich erst eingelebt haben. Es geht wie bei allem Liturgischen: die Gewohnheit folgt nicht bloß aus der Feier, sondern es kommt auch die rechte Feier erst aus der Gewohnheit.

III.

 Die meisten Protestanten der jetzigen Zeit sind Freunde erklärter Bibelübersetzungen, und es ist etwas sehr Gewöhnliches, daß die Seelsorger gefragt werden: welche Bibelerklärung soll ich mir kaufen? Die beste Antwort, welche ich darauf zu geben weiß, heißt: „gar keine,“ und warum? weil es keine gibt, die dir den Dienst thut, den du vernünftigermaßen wollen kannst. Die berühmteste Bibelerklärung der lutherischen Kirche, die fast gleichzeitig mit dem Concordienbuch entstanden ist, und in welcher man die Bibelerklärungen der grösten Lutheraner des 17ten Jahrhunderts findet, ist die sogenannte Weimar’sche Bibel. Sie hat alle Vorzüge und Fehler der damaligen Zeit, namentlich kein Verständnis der Weißagung. Die Pfaff’sche Bibel ist das Werk eines uniert Gesinnten. Die neueren Bibeln leiden an vielen Gebrechen. Was du bedarfst, gibt dir teils die biblische Einleitung, teils die Parallelstellen; die studiere, so wird dir die Bibel zuerst ein Sternenhimmel, dann ein Morgenhimmel und endlich ein Mittagshimmel werden, wenn gleich du je länger je mehr die Blindheit deines Auges und Herzens beklagen must. – Willst du dir eine gute lutherische Bibelausgabe kaufen, so kaufe die Nürnberger oder Stuttgarter, die anderen sind meistens noch mit den Fehlern der Cannstein’schen und anderer Bibelanstalten verderbt.




Vom Schmuck der heiligen Orte.
§. 1.

 Als jenes Weib das köstliche Gefäß voll Narde über den Leib des Erlösers goß, sagte Judas, der Dieb, es sei ein Unrath, oder wie man es in jetzigem Deutsch übersetzen würde, eine Verunräthsung, ein verschwenderisches Verderben großen Werthes. Dabei redete er sich auf die Armen aus, als wäre denen entzogen, was das Weib zu Ehren Christi verwendet hatte. Wie christlich mild und barmherzig klingen da die Worte des Geizes. So klingen sie. Der HErr aber verwirft sie doch, und weit entfernt, mit Judas das Weib zu tadeln, verspricht Er ihr vielmehr ein Andenken bis ans Ende der Welt und nimmt also die große Ausgabe in Schutz. Daher hat die Kirche von Anfang her ihre Kinder gelehrt, von den irdischen Gütern für sich selbst und das eigne Bedürfnis den geringsten Gebrauch zu machen, dagegen aber für den HErrn und Seine Ehre und Seine Armen so freigebig und aufopfernd als möglich zu sein. Der Arme und die Ehre Christi theilen sich in das irdische Gut des Frommen. So geht denn auch in einem Diaconissenhause neben dem Unterricht, der zum Dienste der Armen und Leidenden anleitet, auch ein Unterricht, welcher die Diaconissin unterweist, wie sie im Hause Gottes wandeln und ihre Narde zur Ehre JEsu ausgießen könne.

§. 2.

 Wenn man nun aber von dem Schmuck des Heiligtums und dem Aufwande zur Ehre Christi redet, so wird es vor allen Dingen nöthig sein, daß man den hl. Raum und die hl. Geräthe kennen lerne, weil sich der gesammte Unterricht, den wir jetzt geben, an diese Kenntnis anschließen muß.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Vom Schmuck der heiligen Orte, Dictat aus den Jahren 1857/58, abgedruckt im „Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau“ 1859/60. Druck in Commission der C. H. Beck’schen Buchhandlung, Nördlingen 1859, 1960, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Correspondenzblatt_der_Diaconissen_von_Neuendettelsau_Bd02_1859.pdf/9&oldid=- (Version vom 28.8.2016)