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sind, dass seine Windungen und Furchen, der Regel nach, weniger symmetrisch angeordnet sind und eine grössere Zahl secundärer Faltungen darbieten. Es wird ferner zugegeben, dass der Regel nach beim Menschen die Temporo-Occipitalfurche oder »äussere senkrechte« Spalte, welche gewöhnlich ein so scharf ausgeprägtes Merkmal des Affengehirns ist, nur schwach angedeutet ist. Es ist aber auch ganz klar, dass keine dieser Verschiedenheiten eine scharfe Trennung zwischen den Gehirnen der Affen und dem des Menschen bedingt. In Bezug auf die äussere senkrechte Spalte Gratiolet's im menschlichen Gehirn sagt z. B. Prof. Turner:[1]

»In manchen Gehirnen erscheint sie einfach als ein Einschnitt des Hemisphärenrandes, in andern dagegen erstreckt sie sich eine Strecke weit mehr oder weniger quer nach aussen. Ich habe sie an der rechten Hemisphäre eines weiblichen Gehirnes mehr als zwei Zoll nach aussen gehen sehen, und in einem andern Präparate, auch eine rechte Hemisphäre, gieng sie vier Zehntel Zoll nach aussen und erstreckte sich dann abwärts entlang dem untern Rande der äusseren Oberfläche der Hemisphäre. Die unbestimmte Abgrenzung dieser Spalte in der Mehrzahl der menschlichen Gehirne, verglichen mit ihrer merkwürdigen Deutlichkeit im Gehirn der meisten Quadrumanen, ist eine Folge der Anwesenheit gewisser oberflächlicher, scharf ausgesprochener, secundärer Windungen beim Menschen, welche die Spalte überbrücken und den Parietallappen mit dem Occipitallappen verbinden. Je dichter die erste dieser überbrückenden Windungen an dem Längsspalt liegt, desto kürzer ist die äussere parieto-occipitale Spalte« (a. a. O. p. 12).

Die Obliteration der äusseren senkrechten Spalte Gratiolet's ist daher kein constantes Merkmal des menschlichen Gehirns. Andrerseits ist aber auch ihre volle Entwickelung kein constantes Merkmal des Gehirns der höheren Affen. Denn beim Schimpanse ist die mehr oder weniger ausgedehnte Obliteration der äussern perpendiculären Furche durch »Uebergangswindungen« auf der einen oder der andern Seite wiederholt bemerkt worden von Prof. Rolleston, Mr. Marshall, Mr. Broca und Professor Turner. Zum Schlusse eines besondern Aufsatzes über diesen Gegenstand sagt der letztere:[2]

»Die drei so eben beschriebenen Exemplare des Schimpansenhirns beweisen, dass die Verallgemeinerung, welche Gratiolet zu ziehen versucht hat, dass nämlich die vollständige Abwesenheit der ersten Uebergangswindung und das Verborgensein der zweiten wesentlich characteristische Züge am Gehirn dieses Thieres seien, durchaus nicht allgemein annehmbar ist. Nur in einem Präparate folgte das Gehirn in diesen Eigenthümlichkeiten dem von Gratiolet ausgedrückten Gesetze. In Bezug auf die Anwesenheit der obern Uebergangswindung bin ich anzunehmen geneigt, dass sie, wenigstens in einer Hemisphäre, bei der Majorität der Gehirne dieses Thieres, welche bis jetzt abgebildet oder beschrieben worden sind, vorhanden gewesen ist. Die oberflächliche Lage der zweiten Uebergangswindung ist offenbar weniger häufig und ist bis jetzt, wie ich glaube, nur in dem in dieser Mittheilung geschilderten


  1. Convolutions of the Human Cerebrum topographically considered. 1866. p. 12.
  2. Bemerkungen, besonders über die Uebergangswindungen am Schimpansengehirn, in: Proceed. Roy. Soc. Edinburgh, 1865, 66.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/276&oldid=- (Version vom 31.7.2018)