Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/105

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Vierzehntes Capitel.
Vögel (Fortsetzung).
Wahl vom Weibchen ausgeübt. — Dauer der Bewerbung. — Nichtgepaarte Vögel. — Geistige Eigenschaften und Geschmack für das Schöne. — Vorliebe für, oder Antipathie gegen gewisse Männchen seitens der Weibchen. — Variabilität der Vögel. — Abänderungen zuweilen plötzlich auftretend. — Gesetze der Abänderung. — Bildung der Augenflecken. — Abstufungen der Charactere. — Pfauhahn, Argus-Fasan und Urosticte.

Wenn die Geschlechter in Bezug auf die Schönheit ihrer Erscheinung, auf ihr Gesangsvermögen oder auf das Vermögen das zu produciren, was ich Instrumentalmusik genannt habe, von einander abweichen, so ist es beinahe unveränderlich das Männchen, welches das Weibchen übertrifft. Wie wir soeben gesehen haben, sind diese Eigenschaften offenbar für das Männchen von höchster Bedeutung. Werden sie nur für einen Theil des Jahres erlangt, so geschieht dies immer kurz vor der Paarungszeit. Es ist das Männchen allein, welches mit Sorgfalt seine verschiedenartigen Anziehungsmittel entfaltet und oft fremdartige Geberden auf dem Boden oder in der Luft in Gegenwart des Weibchens ausführt. Jedes Männchen treibt alle seine Nebenbuhler fort oder tödtet dieselben, wenn es kann. Wir können daher folgern, dass es die Absicht des Männchens ist, das Weibchen dazu zu veranlassen, sich mit ihm zu paaren, und zu diesem Zwecke versucht es, dasselbe auf verschiedenen Wegen zu reizen und zu bezaubern; dies ist auch die Meinung aller Derer, welche die Lebensgewohnheiten der Vögel sorgfältig studirt haben. Es bleibt aber hier eine Frage übrig, welche eine äusserst bedeutungsvolle Tragweite in Bezug auf geschlechtliche Zuchtwahl hat, nämlich: reizt jedes Männchen einer und derselben Species gleichmässig das Weibchen und zieht jedes dasselbe gleichmässig an? oder übt das Letztere eine Wahl aus und zieht dieses gewisse Männchen vor? Diese Frage kann in Folge



Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/105&oldid=- (Version vom 31.7.2018)