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Was den Fall so eigenthümlich macht, ist, dass, obgleich die Färbung des Schwanzes in beiden Geschlechtern vieler Arten von Colibri's verschieden ist, Mr. Gould doch nicht eine einzige Species ausser der Urosticte kennt, bei welcher das Männchen die vier centralen Federn mit weisser Spitze versehen hätte.

Der Herzog von Argyll bespricht diesen Fall,[1] übergeht die geschlechtliche Zuchtwahl und frägt, „welche Erklärung gibt das Gesetz der natürlichen Zuchtwahl für solche specifische Varietäten, wie diese?“ Er antwortet: „durchaus keine“, und ich stimme mit ihm vollkommen überein. Kann dies aber mit gleicher Zuversicht von der geschlechtlichen Zuchtwahl gesagt werden? Wenn man sieht, in wie vielfacher Weise die Schwanzfedern der Colibri's verschieden sind, warum könnten nicht die vier centralen Federn allein in dieser einzigen Species so variirt haben, dass sie weisse Spitzen erlangten? Die Abänderungen können allmählich, oder auch etwas plötzlich eingetreten sein, wie in dem neuerdings mitgetheilten Falle der Colibri's in der Nähe von Bogota, an denen nur bei gewissen Individuen „die centralen Schwanzfedern wunderschöne grüne Spitzen haben“. Bei den Weibchen der Urosticte bemerkte ich äusserst kleine oder rudimentäre weisse Spitzen an den zwei äusseren der vier centralen schwarzen Schwanzfedern, so dass wir hier eine Andeutung einer Veränderung irgend welcher Art in dem Gefieder dieser Species vor uns sehen. Geben wir die Möglichkeit zu, dass die centralen Schwanzfedern des Männchens in ihrem Weisswerden variiren, so liegt darin nichts Fremdartiges, dass derartige Variationen von der geschlechtlichen Wahl berücksichtigt worden sind. Die weissen Spitzen tragen in Verbindung mit den kleinen weissen Ohrbüscheln, wie der Herzog von Argyll zugibt, sicherlich zur Schönheit des Männchens bei, und die weisse Farbe wird allem Anscheine nach von allen anderen Vögeln gewürdigt, wie sich aus derartigen Fällen schliessen lässt, wie das schneeweisse Männchen des Glockenvogels einen solchen darbietet. Die von Sir R. Heron gemachte Angabe sollte nicht in Vergessenheit kommen, dass nämlich seine Pfauhennen, als sie vom Zutritte zu dem gefleckten Pfauhahne abgeschnitten waren, mit keinem anderen Männchen sich verbinden wollten und während dieses Jahres keine Nachkommen producirten. Es ist auch nicht befremdend, dass Abänderungen an den


  1. The Reign of Law, 1867, p. 247.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/155&oldid=- (Version vom 31.7.2018)