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sind, ist der Gegenstand der geschlechtlichen Färbung in einigen sehr interessanten Aufsätzen von Mr. Wallace[1] erörtert worden, welcher der Ansicht ist, dass in beinahe allen Fällen die aufeinanderfolgenden Abänderungen ursprünglich zu einer gleichmässigen Vererbung auf beide Geschlechter neigten, dass aber das Weibchen durch natürliche Zuchtwahl vor dem Erlangen der auffallenden Farben des Männchens bewahrt worden ist in Folge der Gefahr, welcher es sonst während der Bebrütung ausgesetzt gewesen wäre.

Diese Ansicht macht eine langwierige Erörterung über einen schwierigen Punkt nothwendig, nämlich ob die Ueberlieferung eines Characters, welcher zuerst von beiden Geschlechtern geerbt wurde, später durch Hülfe von Zuchtwahl auf ein Geschlecht allein beschränkt werden kann. Wir müssen im Sinne behalten, wie es in dem einleitenden Capitel über geschlechtliche Zuchtwahl gezeigt wurde, dass die Charactere, welche in ihrer Entwickelung auf ein Geschlecht beschränkt sind, immer in dem andern Geschlechte latent vorhanden sind. Wir können uns ein Beispiel ausdenken, welches am besten geeignet ist, die Schwierigkeit des Falles uns vor Augen zu führen. Nehmen wir an, dass ein Züchter den Wunsch hat, eine Rasse von Tauben darzustellen, bei welcher allein die Männchen blass blau gefärbt sind, während die Weibchen ihre frühere schieferblaue Färbung behalten sollen. Da bei Tauben Charactere aller Arten gewöhnlich auf beide Geschlechter gleichmässig vererbt werden, so würde der Züchter den Versuch zu machen haben, diese letztere Form von Vererbung in eine geschlechtlich beschränkte Ueberlieferung umzuwandeln. Alles was er nun thun könnte, bestünde darin, in ausdauernder Weise jede männliche Taube, welche im allergeringsten Grade blässer blau gefärbt wäre, zur Zucht auszuwählen, und das natürliche Resultat dieses Processes, wenn er eine lange Zeit hindurch stetig fortgesetzt würde und wenn die blassen Abänderungen entschieden vererbt würden oder häufig aufträten, würde darin bestehen, dass der Züchter seinen ganzen Stamm heller blau färbte. Unser Züchter würde aber gezwungen sein, Generation nach Generation seine blassblauen Männchen mit schieferblauen Weibchen zu paaren. Denn er wünscht ja die letzteren von dieser Färbung zu behalten. Das Resultat würde im Allgemeinen entweder die Production einer gescheckten Mischlingsrasse sein oder,


  1. Westminster Review. July, 1867. Journal of Travel, Vol. I. 1868, p. 73.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/158&oldid=- (Version vom 31.7.2018)