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und zwar wahrscheinlicher, der schnelle und vollständige Verlust der blassblauen Farbe. Denn die ursprüngliche schieferblaue Färbung würde mit überwiegender Kraft überliefert werden. Nehmen wir indess an, dass in jeder der aufeinanderfolgenden Generationen einige blassblaue Männchen und schieferblaue Weibchen hervorgebracht und immer mit einander gekreuzt würden, dann würden die schieferblauen Weibchen, wenn ich mich des Ausdruckes bedienen darf, viel blassblaues Blut in ihren Adern haben, denn ihre Väter, Grossväter u. s. w. werden alle blassblaue Vögel gewesen sein. Unter diesen Umständen lässt sich wohl denken (obschon ich keine entscheidenden Thatsachen kenne, welche die Sache wahrscheinlich machen), dass die schieferblauen Weibchen eine so starke latente Neigung zur blassblauen Färbung erlangen, dass sie diese Farbe bei ihren männlichen Nachkommen nicht zerstören, während ihre weiblichen Nachkommen immer noch die schieferblaue Färbung behalten. Wäre dies der Fall, so würde das gewünschte Ziel, eine Rasse zu erzeugen, in welcher die beiden Geschlechter permanent in ihrer Farbe verschieden wären, erreicht werden.

Die ausserordentliche Bedeutung oder geradezu Nothwendigkeit des Umstandes, dass der in dem eben erläuterten Falle erwünschte Character, nämlich die blassblaue Färbung, wenn auch in einem latenten Zustande bei dem Weibchen vorhanden ist, so dass die männlichen Nachkommen nicht benachtheiligt werden, wird am besten nach den folgenden Erläuterungen richtig gewürdigt werden. Das Männchen vom Sömmerringsfasan hat einen siebenunddreissig Zoll langen Schwanz, während der des Weibchens nur acht Zoll lang ist. Der Schwanz des Männchens des gemeinen Fasans ist ungefähr zwanzig Zoll und der des Weibchens zwölf Zoll lang. Wenn nun der weibliche Sömmerringsfasan mit seinem kurzen Schwanze mit dem männlichen gemeinen Fasane gekreuzt würde, so kann man nicht zweifeln, dass die männlichen hybriden Nachkommen einen viel längeren Schwanz haben würden, als die reinen Nachkommen des gemeinen Fasans. Wenn auf der anderen Seite der weibliche gemeine Fasan, dessen Schwanz nahezu zweimal so lang als der des weiblichen Sömmerringsfasans ist, mit dem Männchen dieser letzteren Form gekreuzt würde, so würden die männlichen hybriden Nachkommen einen viel kürzeren Schwanz haben als der der reinen Nachkommen des Sömmerringsfasans ist.[1]


  1. Temminck sagt, dass der Schwanz des weiblichen Phasianus Soemmerringii nur sechs Zoll lang sei: Planches coloriées, Vol. V. 1838, p. 487 und 488; die oben mitgetheilten Messungen hat Herr Sclater für mich ausgeführt. In Bezug auf den gemeinen Fasan s. Macgillivray, History of British Birds, Vol. I, p. 118—121.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/159&oldid=- (Version vom 31.7.2018)