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trieb auf diese Weise allmählich die Gesellschaft, die ihm zu Hülfe kam, auf eine Entfernung von hundertfünfzig bis zweihundert Fuss zurück; und der angegriffene Mann wurde getödtet.[1]

Obgleich die Geweihe der Hirsche wirksame Waffen sind, so kann, wie ich glaube, darüber kein Zweifel sein, dass eine einzige Spitze viel gefährlicher gewesen wäre, als ein verzweigtes Geweihe; und Judge Caton, welcher grosse Erfahrungen über Hirsche gemacht hat, stimmt vollständig mit diesem Schlusse überein. Es scheinen auch die verzweigten Geweihe, obgleich sie als Vertheidigungsmittel gegen Nebenbuhlerhirsche von hoher Bedeutung sind, zu diesem Zwecke nicht vollkommen angepasst zu sein, da sie leicht in einander verfangen werden. Mir ist daher die Vermuthung durch den Sinn gegangen, dass sie zum Theil als Zierathen von Nutzen sein könnten. Dass das verzweigte Geweihe von Hirschen, ebenso wie die eleganten leierförmigen Hörner gewisser Antilopen mit ihrer doppelten Krümmung (Fig. 64) für unsere Augen ornamental sind, wird Niemand bestreiten können. Wenn daher die Geweihe, wie die glänzenden Rüstungen der Ritter älterer Zeiten die edle Erscheinung von Hirschen und Antilopen erhöhen, so können sie wohl zum Theil für diesen Zweck modificirt worden sein, wenn sie auch hauptsächlich zum factischen Dienste im Kampfe bestimmt sind. Ich habe aber zu Gunsten dieser Annahme keine Belege.

Neuerdings ist ein interessanter Fall veröffentlicht worden, nach welchem es scheinen möchte, als würden die Geweihe eines Hirsches in einem Districte der Vereinigten Staaten noch jetzt durch geschlechtliche und natürliche Zuchtwahl modificirt. Ein Schriftsteller erzählt in einem ausgezeichneten americanischen Journale,[2] dass er in den letzten einundzwanzig Jahren in den Adirondacks gejagt habe, wo der Cervus virginianus häufig ist. Ungefähr vor vierzehn Jahren hörte er zuerst von Spitzhornböcken (spike-horn-bucks). Diese wurden von Jahr zu Jahr häufiger, ungefähr vor fünf Jahren schoss er einen, später dann noch einen andern, und jetzt werden sie häufig getödtet. „Das Spitzhorn weicht bedeutend von dem gewöhnlichen Geweihe des C. virginianus ab. Es besteht aus einer einzigen Spitze, welche schlanker als die Stange und kaum halb so lang ist, von der Stirn nach vorn vorspringt und in eine sehr scharfe Spitze endigt. Es


  1. s. eine äusserst interessante Schilderung in dem Appendix zu dem oben citirten Aufsatze des Hon. J. D. Caton.
  2. The American Naturalist: Dec. 1869, p. 552.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/251&oldid=- (Version vom 31.7.2018)