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Hirsche gelegentlich so mit einander kämpfen, dass sie mit ihren Vorderfüssen stossen,[1] kam Mr. Bailly geradezu zu dem Schlusse, dass ihre Geweihe mehr von Nachtheil als von Nutzen für sie seien. Aber dieser Schriftsteller übersieht die ausgemachten Kämpfe zwischen rivalisirenden Männchen. Da ich mich in Bezug auf den Gebrauch oder den Vortheil der Enden in ziemlicher Verlegenheit befand, wendete ich mich an Mr. M’Neill von Colonsay, welcher das Leben des Edelhirsches lange und sorgfältig beobachtet hat, und er theilte mir mit, dass er niemals eines der Enden in Thätigkeit gebracht gesehen habe, dass aber die Augensprossen, weil sie sich nach abwärts neigen, für die Stirn ein bedeutender Schutz sind und dass ihre Spitzen gleichfalls beim Angriff gebraucht werden. Auch Sir Philipp Egerton theilt mir sowohl in Bezug auf Edelhirsche als auf den Damhirsch mit, dass wenn sie kämpfen, sie plötzlich an einander fahren und, ihr Geweihe gegen den Körper des andern gedrückt, einen verzweifelten Kampf beginnen. Wenn einer der Hirsche zuletzt gezwungen wird nachzugeben und sich umzuwenden, so versucht der Sieger seine Augensprossen in den besiegten Feind einzustossen. Es erscheint hiernach als ob die oberen Enden hauptsächlich oder ausschliesslich zum Stossen und Pariren benutzt würden. Nichtsdestoweniger werden bei einigen Species auch die oberen Enden als Angriffswaffen benutzt. Als in Judge Caton’s Park in Ottawa ein Mann von einem Wapiti-Hirsche (Cervus canadensis) angegriffen wurde und mehrere Leute ihn zu befreien versuchten, „erhob der Hirsch seinen Kopf nicht von dem Boden; in der That, er hielt sein Gesicht beinahe platt auf der Erde, mit seiner Nase fast zwischen seinen Vorderfüssen, ausgenommen, wenn er seinen Kopf nach einer Seite drehte, um eine neue Beobachtung als Vorbereitung zu einem Angriffe zu machen“. In dieser Stellung waren die Endspitzen des Geweihes gegen seine Gegner gerichtet. „Beim Drehen des Kopfes erhob er ihn nothwendiger Weise etwas, weil sein Geweihe so lang war, dass er den Kopf nicht drehen konnte, ohne dasselbe auf der einen Seite etwas zu erheben, während es auf der andern Seite den Boden berührte“. Der Hirsch


  1. Hon. J. D. Caton (Ottawa Acad. of Natur. Science, May, 1868, p. 9) sagt, dass der americanische Hirsch mit seinen Vorderbeinen kämpft, nachdem „die Frage der Superiorität einmal ausgemacht und in der Heerde anerkannt worden ist“. Bailly, sur l’usage des cornes, in: Annales des scienc. natur. Tom. II. 1824, p. 371.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/250&oldid=- (Version vom 31.7.2018)