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oder schrien und als ob die älteren mit dem Beginne der Paarungszeit anfangs nur gelegentlich und mässig zu schreien anfiengen, während sie beim Suchen der Weibchen ruhelos umherwandern. Ihre Kämpfe werden durch lautes und anhaltendes Geschrei eingeleitet; aber während des eigentlichen Conflicts selbst verhalten sie sich schweigend. Thiere aller Art, welche gewöhnlich ihre Stimmen gebrauchen, bringen unter jeder starken Gemüthserregung, so wenn sie wüthend werden oder sich zum Kampfe vorbereiten, verschiedene Laute hervor; doch kann dies einfach nur das Resultat ihrer nervösen Aufregung sein, welches zu der krampfhaften Zusammenziehung beinahe aller Muskeln des Körpers führt, ebenso wie ein Mensch seine Zähne zusammenbeisst und seine Hände ringt, wenn er in Wuth oder Angst ist. Ohne Zweifel fordern die Hirsche einander zum tödtlichen Kampfe durch Geschrei heraus; aber wenn die Hirsche mit der kraftvolleren Stimme nicht zu derselben Zeit auch die stärkeren, besserbewaffneten und muthvolleren sind, werden sie über ihre Nebenbuhler keinen Vortheil erlangen.

Es ist möglich, dass das Brüllen des Löwen für ihn von irgend welchem factischen Nutzen ist, und zwar dadurch, dass er seinen Gegner mit Schrecken erfüllt; denn wenn er in Wuth geräth, so richtet er gleichfalls seine Mähne empor und versucht instinctiv, sich damit so schrecklich als möglich aussehend zu machen. Es kann aber kaum angenommen werden, dass das Geschrei des Hirsches, selbst wenn es ihm in dieser Weise irgendwie von Nutzen wäre, von hinreichender Bedeutung gewesen sei, um zur periodischen Vergrösserung der Kehle zu führen. Einige Schriftsteller vermuthen, dass das Geschrei als ein Ruf für das Weibchen diene; aber die oben citirten erfahrenen Beobachter theilen mir mit, dass der weibliche Hirsch nicht das Männchen sucht, dass vielmehr die Männchen gierig die Weibchen aufsuchen, wie sich in der That nach dem, was wir von den Gewohnheiten anderer männlichen Säugethiere wissen, erwarten liess. Auf der anderen Seite ruft die Stimme des Weibchens schnell einen oder mehrere Hirsche zu ihm,[1] wie den Jägern wohl bekannt ist, welche in wilden Gegenden ihren Ruf nachahmen. Wenn wir glauben könnten, dass das Männchen das Vermögen hätte, das Weibchen durch seine Stimme zu reizen oder zu locken, so würde die periodische Vergrösserung


  1. s. z. B. Major W. Ross King (The Sportsman in Canada, 1866, p. 53, 131) über die Gewohnheiten des Orignal und des wilden Renthiers.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/270&oldid=- (Version vom 31.7.2018)