seiner Stimmorgane nach dem Gesetze geschlechtlicher Zuchtwahl, in Verbindung mit einer auf ein und dasselbe Geschlecht und auf dieselbe Jahreszeit beschränkten Vererbung, verständlich sein; wir haben aber keine diese Ansicht begünstigenden Belege. Wie der Fall liegt, so scheint die laute Stimme des Hirsches während der Paarungszeit für ihn von keinem speciellen Nutzen zu sein, weder während seiner Bewerbung noch während seiner Kämpfe, noch in irgend einer anderen Weise. Dürfen wir aber nicht annehmen, dass der häufige Gebrauch der Stimme unter der starken Erregung von Liebe, Eifersucht und Wuth während vieler Generationen fortgesetzt, zuletzt doch eine vererbte Wirkung auf die Stimmorgane des Hirsches ebenso gut ausgeübt haben kann, wie bei irgend welchen anderen männlichen Thieren? Nach dem gegenwärtigen Zustande unserer Kenntniss scheint mir dies die wahrscheinlichste Ansicht zu sein.
Der männliche Gorilla hat eine furchtbare Stimme und ist, wenn er erwachsen ist, mit einem Kehlsacke versehen, wie auch der männliche Orang einen solchen besitzt.[1] Die Gibbons zählen zu den lautesten unter allen Affen und die Sumatraner Species (Hylobates syndactylus) ist gleichfalls mit einem Kehlsacke versehen. Aber Mr. Blyth, welcher Gelegenheit zur Beobachtung gehabt hat, glaubt nicht, dass das Männchen geräuschvoller ist als das Weibchen. Es brauchen daher wahrscheinlich diese letzteren Affen ihre Stimmen zu gegenseitigem Rufen und dies ist sicher bei einigen Säugethieren, z. B. beim Biber,[2] der Fall. Ein anderer Gibbon, der H. agilis, ist dadurch merkwürdig, dass er das Vermögen besitzt, eine vollständige und correcte Octave musikalischer Noten hervorzubringen,[3] welche, wie wir wohl mit Grund vermuthen können, als geschlechtliches Reizmittel dienen. Ich werde aber auf diesen Gegenstand im nächsten Capitel zurückzukommen haben. Die Stimmorgane des africanischen Mycetes caraya sind beim Männchen um ein Drittel grösser als beim Weibchen und sind wunderbar kräftig. Wenn das Wetter warm ist, lassen diese Affen die Wälder während der Morgen und Abende von ihrem überwältigenden Geschreie erklingen. Die Männchen fangen das fürchterliche
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/271&oldid=- (Version vom 31.7.2018)