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Wir sehen hieraus, wie sehr die verschiedenen Rassen des Menschen in ihrem Geschmacke für’s Schöne verschieden sind. In jeder Nation, die weit genug vorgeschritten war, sich Bildnisse ihrer Götter oder ihrer vergötterten Herrscher zu machen, versuchten ohne Zweifel die Bildhauer ihr Ideal von Schönheit und Grossartigkeit in diesen Bildwerken auszudrücken.[1] Von diesem Gesichtspunkte aus verdienen die griechischen Statuen des Jupiter oder Apollo mit den ägyptischen oder assyrischen Statuen im Geiste verglichen zu werden, und diese wiederum mit den hässlichen Basreliefs der zerstörten Bauten von Central-America.

Ich bin sehr wenigen Angaben begegnet, welche der eben erwähnten Schlussfolgerung entgegenstehen; indessen ist Mr. Winwood Reade, welcher reichlich Gelegenheit zur Beobachtung nicht nur in Bezug auf die Neger der Westküste von Africa, sondern auch in Bezug auf die des Innern hatte, welche niemals mit Europäern in Verbindung gestanden haben, überzeugt, dass ihre Ideen von Schönheit im Ganzen dieselben sind wie unsere. In ähnlichem Sinne äussert sich Dr. Rohlfs brieflich gegen mich in Bezug auf die Bornu und die von den Pullo-Stämmen bewohnten Länder. Mr. Reade fand, dass er mit den Negern in der Werthschätzung der Schönheit der eingeborenen Mädchen übereinstimmte und dass ihre Würdigung der Schönheit europäischer Frauen der unseren entsprechend war. Sie bewundern langes Haar und brauchen künstliche Mittel, es sehr reich erscheinen zu lassen. Sie bewundern auch einen Bart, obschon sie selbst spärlich damit versehen sind. Mr. Reade ist im Zweifel, welche Art von Nasen am meisten geschätzt werde. Man hat ein Mädchen sagen hören, „ich mag Den nicht heirathen, er hat keine Nase“, und dies beweist, dass eine sehr platte Nase kein Gegenstand der Bewunderung ist. Wir müssen uns indessen erinnern, dass die plattgedrückten und sehr breiten Nasen und vorspringenden Kinnladen der Neger der Westküste ausnahmsweise Typen unter den Einwohnern von Africa sind. Trotz der vorstehenden Angaben gibt Mr. Reade zu, dass Neger „die Farbe unserer Haut nicht leiden können; sie betrachten blaue Augen mit Widerwillen und halten unsere Nasen für zu lang und unsere Lippen für zu dünn“. Er hält es nicht für wahrscheinlich, dass Neger jemals „die schönste europäische Frau nur auf Grund der


  1. Ch. Comte gibt Bemerkungen in diesem Sinne in seinem Traité de Législation, 3. édit. 1837, p. 136.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/343&oldid=- (Version vom 31.7.2018)