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jeden Monstrosität vielmehr in der Natur oder der Constitution des Organismus als in der Natur der umgebenden Bedingungen liegt, obschon neue und veränderte Bedingungen gewiss eine bedeutende Rolle im Hervorrufen organischer Veränderungen vieler Arten spielen.

Durch die eben angeführten Mittel, vielleicht mit Unterstützung anderer, bis jetzt noch nicht entdeckter, ist der Mensch zu seinem jetzigen Stand erhoben worden. Seitdem er aber den Rang der Menschlichkeit erlangt hat, ist er in verschiedene Rassen oder, wie sie noch angemessener genannt werden können, Subspecies auseinandergegangen. Einige von diesen, z. B. die Neger und Europäer, sind so verschieden, dass wenn Exemplare ohne irgend weitere Information einem Naturforscher gebracht worden wären, sie unzweifelhaft von ihm als gute und ächte Species betrachtet worden sein würden. Nichtsdestoweniger stimmen alle Rassen in so vielen nicht bedeutenden Einzelnheiten der Bildung und in so vielen geistigen Eigenthümlichkeiten überein, dass diese nur durch Vererbung von einem gemeinsamen Urerzeuger erklärt werden können, und ein in dieser Weise characterisirter Urerzeuger würde wahrscheinlich verdient haben, als Mensch classificirt zu werden.

Man darf nicht etwa annehmen, dass die Divergenz jeder Rasse von den andern Rassen und aller Rassen von einer gemeinsamen Stammform zurück auf irgend ein Paar von Urerzeugern verfolgt werden kann. Im Gegentheil werden auf jeder Stufe in dem Processe der Modification alle Individuen, welche in irgendwelcher Weise am besten für ihre Lebensbedingungen, wenn auch in verschiedenem Grade, angepasst waren, in grösserer Zahl leben geblieben sein als die weniger gut angepassten. Der Vorgang wird derselbe gewesen sein wie der, welchen der Mensch einschlägt, wenn er nicht absichtlich besondere Individuen auswählt, sondern nur von allen besseren nachzüchtet und alle untergeordneten Individuen vernachlässigt. Hierdurch modificirt er seinen Stamm langsam aber sicher und bildet unbewusst eine neue Linie. Dasselbe gilt in Bezug auf Modificationen, welche unabhängig von Zuchtwahl erlangt worden und die Folge von Abänderung sind, welche von der Natur des Organismus und der Wirkung der umgebenden Bedingungen oder auch von veränderten Lebensgewohnheiten herrühren: hier wird nicht bloss ein einzelnes Paar in einem viel bedeutenderen Grade als die anderen Paare modificirt worden sein, welche dasselbe Land bewohnen; denn alle werden beständig durch freie Kreuzung vermengt worden sein.

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/380&oldid=- (Version vom 31.7.2018)