Betrachtet man die embryologische Bildung des Menschen – die Homologien, welche er mit den niederen Thieren darbietet, die Rudimente, welche er behalten hat, und die Fälle von Rückschlag, denen er ausgesetzt ist, so können wir uns theilweise in unserer Phantasie den früheren Zustand unserer ehemaligen Urerzeuger construiren und können dieselben annäherungsweise in der zoologischen Reihe an ihren gehörigen Platz bringen. Wir lernen daraus, dass der Mensch von einem behaarten, geschwänzten Vierfüsser abstammt, welcher wahrscheinlich in seiner Lebensweise ein Baumthier und ein Bewohner der alten Welt war. Dieses Wesen würde, wenn sein ganzer Bau von einem Zoologen untersucht worden wäre, unter die Quadrumanen classificirt worden sein, so sicher als es der gemeinsame und noch ältere Urerzeuger der Affen der alten und neuen Welt worden wäre. Die Quadrumanen und alle höheren Säugethiere rühren wahrscheinlich von einem alten Beutelthiere und dieses durch eine lange Reihe verschiedenartiger Formen von irgend einem amphibienähnlichen Wesen und dieses wieder von irgend einem fischähnlichen Thiere her. In dem trüben Dunkel der Vergangenheit können wir sehen, dass der frühere Urerzeuger aller Wirbelthiere ein Wasserthier gewesen sein muss, welches mit Kiemen versehen war, dessen beide Geschlechter in einem Individuum vereinigt waren und dessen wichtigste körperliche Organe (wie z. B. das Gehirn und das Herz) unvollständig oder noch gar nicht entwickelt waren. Dieses Thier scheint den Larven unserer jetzt existirenden marinen Ascidien ähnlicher gewesen zu sein als irgend einer anderen bekannten Form.
Sind wir zu dem ebenerwähnten Schluss in Bezug auf den Ursprung des Menschen getrieben worden, so bietet sich die grösste Schwierigkeit in dem Punkte dar, dass er einen so hohen Grad intellectueller Kraft und moralischer Anlagen erlangt hat. Aber ein Jeder, welcher das allgemeine Princip der Entwickelung annimmt, muss sehen, dass die geistigen Kräfte der höheren Thiere, welche der Art nach dieselben sind wie die des Menschen, obschon sie dem Grade nach so verschieden sind, doch die Fähigkeit des Fortschritts besitzen. So ist der Abstand zwischen den geistigen Kräften eines der höheren Affen und eines Fisches oder zwischen denen einer Ameise und einer Schildlaus ungeheuer. Doch bietet die Entwickelung dieser Kräfte bei Thieren keine specielle Schwierigkeit dar; denn bei unsern domesticirten Thieren sind die geistigen
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/381&oldid=- (Version vom 31.7.2018)