Zustande. Sympathie mit dem Unglück Anderer, selbst mit dem rein imaginären Unglück der Heldin in einem traurigen Romane, für die wir keine Zuneigung weiter empfinden, reizt sehr leicht zu Thränen. Dasselbe thut die Sympathie mit dem Gefühle anderer, wie z. B. mit dem Glücke eines Liebhabers, der in einer gut erzählten Novelle nach vielen harten Erfahrungen endlich an das Ziel seiner Wünsche kommt.
Sympathie scheint eine besondere oder bestimmte Gemüthserregung darzustellen; sie ist besonders geneigt, die Thränendrüsen zu reizen. Dies gilt sowohl für den Fall, daß wir Sympathie empfinden, als für den, wo wir sie empfangen. Jedermann muß erfahren haben, wie leicht Kinder in Weinen ausbrechen, wenn wir sie für irgend eine kleine Verletzung bemitleiden. Wie mir Dr. Crichton Browne mittheilt, reicht bei den melancholischen Geisteskranken häufig ein freundliches Wort hin, sie in nicht zu stillendes Weinen zu versetzen. Sobald wir unser Mitleid mit dem Kummer eines Freundes ausdrücken, kommen häufig Thränen in unsere eigenen Augen. Das Gefühl der Sympathie wird gewöhnlich durch die Annahme erklärt, daß wenn wir von dem Leiden eines Andern hören oder dasselbe sehen, die Idee des Leidens in unserer eigenen Seele so lebhaft wachgerufen wird, daß wir selbst leiden. Diese Erklärung ist aber kaum genügend, denn sie gibt keinen Aufschluß über die innige Verbindung zwischen Sympathie und Zuneigung. Wir sympathisiren ohne Zweifel viel tiefer mit einer geliebten als mit einer gleichgültigen Person, und die Sympathie der einen gewährt uns viel mehr Erleichterung als die der andern. Aber doch können wir ganz sicher auch mit denjenigen sympathisiren, für die wir keine Zuneigung empfinden.
Warum ein Leiden, wenn es wirklich von uns erfahren wird, Weinen erregt, ist in einem frühern Capitel erörtert worden. In Bezug auf die Freude ist deren natürlicher und allgemeiner Ausdruck das Lachen, und bei allen Menschenrassen führt das laute Lachen viel häufiger zur Absonderung von Thränen, als es irgend eine andere Ursache mit Ausnahme des Unglücks thut. Das Füllen der Augen mit Thränen, welche ohne Zweifel bei großer Freude eintritt, wenn auch kein Lachen es begleitet, kann, wie es mir scheint, nach denselben Grundsätzen durch Gewohnheit und Association erklärt werden, wie das Vergießen von Thränen aus Kummer, wenn kein Aufschrei dabei ausgestoßen wird. Trotzdem ist es nicht wenig merkwürdig, daß
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/210&oldid=- (Version vom 18.8.2016)