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Erröthen verursachen und warum die mächtigste aller Ursachen die Schüchternheit ist. Denn die Schüchternheit bezieht sich auf die Gegenwart oder die Meinung Anderer, und schüchterne Personen sind stets mehr oder weniger selbstbewußt. In Bezug auf wirkliche Scham in Folge moralischer Fehler können wir verstehen, woher es kommt, daß nicht die Schuld, sondern der Gedanke, daß Andere uns für schuldig halten, ein Erröthen erregt. Ein Mensch, welcher über ein in Einsamkeit begangenes Verbrechen nachdenkt und von seinem Gewissen gepeinigt wird, erröthet nicht. Doch wird er unter der lebhaften Rückerinnerung an einen entdeckten Fehler oder an einen in der Gegenwart Anderer begangenen erröthen, wobei der Grad des Erröthens in naher Beziehung zum Gefühle der Achtung vor Denen steht, welche seinen Fehler entdeckt, mit erlebt oder vermuthet haben. Verletzung conventioneller Regeln des Betragens verursachen, wenn solche von uns gleich- oder höher als wir stehenden Personen streng aufrecht erhalten werden, häufig intensiveres Erröthen als selbst ein entdecktes Verbrechen, und ein Act, welcher wirklich verbrecherisch ist, erregt, wenn er nicht von uns Gleichstehenden getadelt wird, kaum eine Erhöhung der Farbe auf unsern Wangen. Bescheidenheit aus Demuth oder die Regung der Sittsamkeit in Folge einer Unzartheit erregt ein lebhaftes Erröthen, da sich beide auf das Urtheil oder die feststehenden Gebräuche Anderer beziehen.

In Folge der intimen Sympathie, welche zwischen dem capillaren Kreislaufe der Oberfläche des Kopfes und des Gehirns besteht, wird, sobald intensives Erröthen eintritt, auch eine gewisse und häufig große Verlegenheit des Geistes eintreten. Dieselbe wird häufig von ungeschickten Bewegungen und zuweilen von unwillkürlichen Zuckungen gewisser Muskeln begleitet.

Da das Erröthen dieser Hypothese zufolge ein indirectes Resultat der Aufmerksamkeit ist, welche ursprünglich unserer persönlichen Erscheinung, d. h. der Oberfläche des Körpers und ganz besonders dem Gesichte zugewendet war, so können wir die Bedeutung der Geberden verstehen, welche über die ganze Erde das Erröthen begleiten. Diese bestehen in dem Verbergen oder dem Wenden des Gesichts auf den Boden oder nach einer Seite. Die Augen werden gewöhnlich abgewendet oder sind unruhig; denn den Menschen anzublicken, welcher die Ursache war, daß wir Scham oder Schüchternheit


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/337&oldid=- (Version vom 31.7.2018)