Augen werden dadurch leicht mit Blut überfüllt: in Folge dessen werden die die Augen umgebenden Muskeln zum Schutze derselben stark zusammengezogen. Diese Handlungsweise ist im Verlaufe vieler Generationen sicher fixirt und vererbt worden. Wenn aber mit dem Fortschritt der Jahre oder der Cultur die Gewohnheit zu schreien zum Theil zurückgedrängt wird, so streben doch die Muskeln rings um die Augen sich zusammenzuziehen, sobald auch nur unbedeutende Noth gefühlt wird. Von diesen Muskeln sind die Pyramidenmuskeln der Nase weniger unter der Controle des Willens als die andern und ihre Zusammenziehung kann nur durch die der mittleren Bündel des Stirnmuskels gehemmt werden; diese letztern Bündel ziehen die innern Enden der Augenbrauen in die Höhe und furchen die Stirn in einer eigenthümlichen Weise, welche wir augenblicklich als den Ausdruck des Kummers oder der Sorge wiedererkennen. Unbedeutende Bewegungen, wie die eben beschriebenen oder das kaum wahrnehmbare Herabziehen der Mundwinkel, sind die letzten Überbleibsel oder Rudimente scharf ausgesprochener und verständlicher Bewegungen. Sie sind uns mit Hinsicht auf den Ausdruck ebenso bedeutungsvoll, wie es die gewöhnlichen Rudimente für den Naturforscher bei der Classification und Genealogie organischer Wesen sind.
Daß die hauptsächlichsten ausdruckgebenden Handlungen, welche der Mensch und die niedern Thiere zeigen, jetzt angeboren oder angeerbt sind, — d. h. daß sie nicht von dem Individuum gelernt worden sind, — wird von Jedermann zugegeben. Ein Erlernen oder Nachahmen hat mit mehreren derselben so wenig zu thun, daß sie von den frühesten Tagen der Kindheit an durch das ganze Leben hindurch vollständig außer dem Bereiche der Controle liegen: so z. B. die Erschlaffung der Arterien in der Haut und die erhöhte Herzthätigkeit beim Zorn. Wir können Kinder, nur zwei oder drei Jahre alt und selbst blindgeborene, vor Scham erröthen sehen; und die nackte Kopfhaut kleiner Kinder wird in der Leidenschaft roth. Kinder schreien vor Schmerz unmittelbar nach der Geburt und dann nehmen ihre Gesichtszüge sämmtlich dieselbe Form an, wie während späterer Jahre. Schon diese Thatsachen allein reichen hin, um zu zeigen, daß viele unserer bedeutungsvollsten Ausdrucksweisen nicht gelernt worden sind; es ist indessen merkwürdig, daß einige derselben, welche sicherlich angeboren sind, Übung beim Individuum erfordern, ehe sie in einer vollständigen und vollkommenen Art und Weise ausgeführt werden:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/342&oldid=- (Version vom 31.7.2018)