Mein Wille und mein Verstand waren kraftlos gegen die Einbildung einer Gefahr, welche niemals direct erfahren worden war.
Die Heftigkeit des Zusammenfahrens scheint zum Theil von der Lebhaftigkeit der Einbildung und zum Theil von dem entweder gewohnheitsgemäßen oder zeitweiligen Zustande des Nervensystems abzuhängen. Wer auf das Scheuwerden seines Pferdes, je nachdem dasselbe ermüdet oder frisch ist, aufmerkt, wird beobachten, wie vollkommen die Abstufung von einem einfachen Blicke auf irgend einen unerwarteten Gegenstand mit einem augenblicklichen Zweifel, ob er gefährlich ist, bis zu einem so heftigen und schnellen Satze ist, daß das Thier wahrscheinlich sich nicht willkürlich in einer so rapiden Weise herumdrehen könnte. Das Nervensystem eines frisch und gut gefütterten Pferdes schickt seinen Befehl an das Bewegungsnervensystem so schnell, daß ihm keine Zeit gegönnt ist, zu überlegen, ob die Gefahr eine wirkliche ist oder nicht. Nach einem einmaligen heftigen Scheuwerden, wenn das Pferd erregt ist und das Blut reichlich durch das Gehirn fließt, ist es sehr geneigt, von Neuem zusammenzufahren; dasselbe gilt, wie ich bemerkt habe, für kleine Kinder.
Ein Zusammenfahren in Folge eines plötzlichen Geräusches, wo also der Reiz durch die Gehörnerven vermittelt wird, wird bei erwachsenen Personen immer von einem Blinken der Augenlider begleitet.[1] Indessen habe ich beobachtet, daß meine Kinder, obschon sie bei plötzlichen Geräuschen zusammenfuhren, wenn sie unter vierzehn Tagen alt waren, sicherlich nicht immer mit den Augen blinkten; und, wie ich glaube, thaten sie dies niemals. Das Zusammenfahren eines älteren Kindes stellt dem Anscheine nach ein unbestimmtes Greifen nach irgend Etwas dar, um das Fallen zu verhüten. Ich schüttelte eine Pappschachtel dicht vor den Augen eines meiner Kinder, als es 114 Tage alt war, und es blinkte nicht im Allergeringsten. Als ich aber ein wenig Confect in die Schachtel that, sie in derselben Stellung wie vorher hielt, und mit jenem raschelte, so blinkte das Kind jedesmal heftig mit den Augen und fuhr ein wenig zusammen. Offenbar war es unmöglich, daß ein sorgfältig gehütetes Kind durch Erfahrung gelernt haben könnte, daß ein raschelndes Geräusch in der Nähe seiner Augen eine Gefahr anzeigte. Eine solche Erfahrung
- ↑ J. Müller bemerkt (Handbuch der Physiologie des Menschen, Engl. Übers. II. Bd. S. 1311), daß das Zusammenschrecken immer von einem Verschließen der Augenlider begleitet werde.
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/41&oldid=- (Version vom 31.7.2018)