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wird aber im späteren Alter während einer langen Reihe von Generationen erlangt worden sein, und nach dem, was wir von der Vererbung wissen, liegt darin nichts Unwahrscheinliches, daß eine Gewohnheit den Nachkommen zu einem früheren Alter vererbt wird, als zu dem, in welchem sie zuerst von den Eltern erlangt wurde.

Nach den vorstehenden Bemerkungen erscheint es wahrscheinlich, daß einige Handlungen, welche anfangs mit Bewußtsein ausgeführt wurden, durch Gewohnheit und Association in Reflexhandlungen umgewandelt worden und jetzt so fest fixirt sind und vererbt werden, daß sie ausgeführt werden, selbst wenn nicht der geringste Nutzen damit verbunden ist,[1] so oft nur dieselben Ursachen eintreten, welche ursprünglich durch den Willen in uns diese Handlungen erregten. In solchen Fällen erregen die empfindenden Nervenzellen die motorischen Zellen, ohne erst mit denjenigen Zellen zu communiciren, von welchen unser Bewußtsein und unser Wille abhängt. Wahrscheinlich wurde das Niesen und Husten ursprünglich durch die Gewohnheit erlangt, jedes reizende Theilchen so heftig als möglich aus dem empfindlichen Luftwege auszustoßen. Was das Moment der Zeit betrifft, so ist davon mehr als hinreichend vergangen, daß diese Gewohnheiten zu eingebornen oder in Reflexhandlungen umgewandelt wurden. Denn sie sind den meisten oder allen höheren Säugethieren gemeinsam und müssen daher zuerst in einer sehr weit zurückliegenden Zeit erlangt worden sein. Warum der Act des Räusperns keine Reflexhandlung ist und von unsern Kindern gelernt werden muß, kann ich nicht behaupten, erklären zu können. Wir können aber einsehen, warum das Schnauben mit dem Taschentuche gelernt werden muß.

Es ist kaum glaublich, daß die Bewegungen eines kopflosen Frosches, wenn er einen Tropfen Säure oder irgend einen andern Gegenstand von seinem Schenkel wegwischt, — welche Bewegungen für den speciellen Zweck so gut coordinirt sind, — anfangs nicht willkürlich ausgeführt sein sollten, während sie später durch lang fortgesetzte Gewohnheit so leicht gemacht wurden, daß sie zuletzt ohne Bewußtsein oder unabhängig von den Hemisphären des Gehirns ausgeführt werden.



  1. Dr. Maudsley bemerkt (Body and Mind, p. 10), daß „Reflexbewegungen, welche gewöhnlich einen nützlichen Zweck bewirken, unter den veränderten Umständen einer Krankheit sehr viel Schaden anrichten und selbst die Gelegenheitsursache heftigen Leidens und eines sehr schmerzvollen Todes werden können.“
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/42&oldid=- (Version vom 31.7.2018)