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daß sie noch heutigen Tages abändern. Andererseits nennt man die Punkte, wodurch sich Arten von anderen Arten derselben Gattung unterscheiden, specifische Charactere; und da diese seit der Zeit der Abzweigung der Arten von der gemeinsamen Stammform variirt haben und verschieden geworden sind, so ist es wahrscheinlich, daß dieselben noch jetzt oft einigermaßen veränderlich sind, wenigstens veränderlicher als diejenigen Theile der Organisation, welche während einer sehr viel längeren Zeitdauer beständig geblieben sind.


Secundäre Sexualcharactere sind veränderlich.

Ohne daß ich nöthig habe, darüber auf Einzelnheiten einzugehen, werden mir, denke ich, Naturforscher wohl zugeben, daß secundäre Sexualcharactere sehr veränderlich sind; man wird mir wohl auch ferner zugeben, daß die zu einerlei Gruppe gehörigen Arten hinsichtlich dieser Charactere weiter als in andern Theilen ihrer Organisation von einander verschieden sind. Vergleicht man beispielsweise die Größe der Verschiedenheit zwischen den Männchen der hühnerartigen Vögel, bei welchen secundäre Sexualcharactere vorzugsweise stark entwickelt sind, mit der Größe der Verschiedenheit zwischen ihren Weibchen, so wird die Wahrheit dieser Behauptung eingeräumt werden. Die Ursache der ursprünglichen Veränderlichkeit dieser Charactere ist nicht nachgewiesen; doch läßt sich begreifen, wie es komme, daß dieselben nicht eben so einförmig und beständig gemacht worden sind wie andere Theile der Organisation; denn die secundären Sexualcharactere sind durch geschlechtliche Zuchtwahl gehäuft worden, welche weniger streng in ihrer Thätigkeit als die gewöhnliche Zuchtwahl ist, indem sie die minder begünstigten Männchen nicht zerstört, sondern bloß mit weniger Nachkommenschaft versieht. Welches aber immer die Ursache der Veränderlichkeit dieser secundären Sexualcharactere sein mag: da sie nun einmal sehr veränderlich sind, so wird die geschlechtliche Zuchtwahl darin einen weiten Spielraum für ihre Thätigkeit gefunden haben und somit den Arten einer Gruppe leicht einen größeren Betrag von Verschiedenheit in ihren Sexualcharacteren, als in anderen Theilen ihrer Organisation haben verleihen können.

Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß die secundären Sexualverschiedenheiten zwischen beiden Geschlechtern einer Art sich gewöhnlich in genau denselben Theilen der Organisation entfalten, in

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/190&oldid=- (Version vom 31.7.2018)