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Verschiedenheit im Verhalten der Individuen zweier aufeinander zu propfender Arten. Wie bei Wechselkreuzungen die Leichtigkeit der zweierlei Paarungen oft sehr ungleich ist, so verhält es sich oft auch bei dem wechselseitigen Verpropfen. So kann die gemeine Stachelbeere z. B. nicht auf den Johannisbeerstrauch gezweigt werden, während die Johannisbeere, wenn auch mit Schwierigkeit, auf dem Stachelbeerstrauch anschlagen wird.

Wir haben gesehen, daß die Unfruchtbarkeit der Bastarde, deren Reproductionsorgane von unvollkommener Beschaffenheit sind, eine ganz andere Sache ist, als die Schwierigkeit zwei reine Arten mit vollständigen Organen mit einander zu paaren; doch laufen diese beiden verschiedenen Classen von Fällen bis zu gewissem Grade mit einander parallel. Etwas Analoges kommt auch beim Propfen vor; denn Thouin hat gefunden, daß die drei Robinia-Arten, welche auf eigener Wurzel reichlichen Samen gebildet hatten und sich ohne große Schwierigkeit auf eine vierte zweigen ließen, durch diese Propfung unfruchtbar gemacht wurden; während dagegen gewisse Sorbus-Arten auf andere Species gesetzt, doppelt so viel Früchte als auf eigener Wurzel lieferten. Diese Thatsache erinnert uns an die oben erwähnten außerordentlichen Fälle bei Hippeastrum, Passiflora u. dgl., welche viel reichlicher fructificiren, wenn sie mit Pollen einer andern Art als wenn sie mit ihrem eigenen Pollen befruchtet werden.

Wir sehen daher, daß, wenn auch ein deutlicher und großer Unterschied zwischen der bloßen Adhäsion auf einander gepropfter Stöcke und der Zusammenwirkung männlicher und weiblicher Elemente beim Acte der Reproduction stattfindet, sich doch ein gewisser Grad von Parallelismus zwischen den Wirkungen der Propfung und der Befruchtung verschiedener Arten mit einander kundgibt. Und da wir die sonderbaren und verwickelten Gesetze, welche die Leichtigkeit der Aufeinanderpropfung zweier Bäume beherrschen, als mit unbekannten Verschiedenheiten in ihren vegetativen Organen zusammenhängend betrachten müssen, so glaube ich auch; daß die noch viel zusammengesetzteren Gesetze, welche die Leichtigkeit erster Kreuzungen beherrschen, mit unbekannten Verschiedenheiten in ihrem Reproductionssysteme im Zusammenhang stehen. Diese Verschiedenheiten folgen in beiden Fällen, wie sich hätte erwarten lassen, bis zu einem gewissen Grade der systematischen Affinität, durch welche Bezeichnung jede Art von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zwischen organischen Wesen auszudrücken

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/351&oldid=- (Version vom 31.7.2018)