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sei als die Raupe. In einigen Fällen jedoch, wie bei parasitischen Krustern, sieht man allgemein das reife Thier für tieferstehend als die Larve an. Ich beziehe mich wieder auf die Cirripeden. Auf ihrer ersten Stufe hat die Larve drei Paar Füße, ein einziges sehr einfaches Auge und einen rüsselförmigen Mund, womit sie reichliche Nahrung aufnimmt, denn sie nimmt schnell an Größe zu. Auf der zweiten Stufe, dem Puppenstande des Schmetterlings entsprechend, hat sie sechs Paar schön gebauter Schwimmfüße, ein Paar herrlich zusammengesetzter Augen und äußerst zusammengesetzte Fühler, aber einen geschlossenen und unvollkommenen Mund, der keine Nahrung aufnehmen kann; ihre Verrichtung auf dieser Stufe ist, einen zur Befestigung und zur letzten Metamorphose geeigneten Platz mittelst ihres wohl entwickelten Sinnesorganes zu suchen und mit ihren mächtigen Schwimmorganen zu erreichen. Wenn diese Aufgabe erfüllt ist, so bleibt das Thier lebenslänglich an seiner Stelle befestigt; seine Beine verwandeln sich in Greiforgane; es bildet sich wieder ein gut gebildeter Mund aus; aber es hat keine Fühler, und seine beiden Augen haben sich jetzt wieder in einen kleinen und ganz einfachen Augenfleck verwandelt. In diesem letzten und vollständigen Zustande kann man die Cirripeden als höher oder tiefer organisirt betrachten, als sie im Larvenstande gewesen sind. In einigen ihrer Gattungen jedoch entwickeln sich die Larven entweder zu Hermaphroditen von der gewöhnlichen Bildung oder zu (von mir so genannten) complementären Männchen; und in diesen letzten ist die Entwickelung sicher zurückgeschritten, denn sie bestehen aus einem bloßen Sack mit kurzer Lebensfrist, ohne Mund, Magen oder anderes wichtiges Organ, das der Reproduction ausgenommen.

Wir sind so sehr gewöhnt, Structurverschiedenheiten zwischen Embryonen und erwachsenen Organismen zu sehen, daß wir uns veranlaßt fühlen, diese Erscheinung als in gewisser Weise nothwendig mit dem Wachsthum zusammentreffend zu betrachten. Inzwischen ist doch kein Grund einzusehen, warum der Plan z. B. zum Flügel der Fledermaus oder zum Ruder des Tümmlers mit allen ihren Theilen in angemessener Proportion nicht schon im Embryo entworfen worden sein soll, sobald nur irgend eine Structur in demselben sichtbar wurde. Und in einigen ganzen Thiergruppen sowohl als in gewissen Gliedern anderer Gruppen ist dies der Fall und weicht der Embryo zu keiner Zeit seines Lebens weit vom Erwachsenen ab; so hat Owen in Bezug

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/536&oldid=- (Version vom 31.7.2018)