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vorzustellen. Und zu seiner Freude hatte er bald gemerkt, daß die beiden im Alter nur wenig verschiedenen Mädchen sich schnell zu einander hingezogen fühlten. Und die ruhige, geistvolle Anna Wieland hatte dann später an der temperamentvollen Schwägerin wirklich eine gute Freundin gefunden. Nie war es in den vier Jahren der Wieland’schen Ehe zu irgendwelchen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Frauen gekommen.

Die blonde Anna, die im Gegensatz zu ihrem Bruder eine schnell entschlossene Natur war, bewohnte von den acht Zimmern der Etage zwei, deren eines sie sich als Atelier eingerichtet hatte. Sie verfügte über ein nicht unbedeutendes Talent, und ihre Bilder waren oft genug in den Schaufenstern der größeren Kunsthandlungen Danzigs ausgehängt und wurden auch – was mehr wert war – in der Presse anerkennend besprochen und die Hauptsache! – viel gekauft. Jedenfalls konnte sie mit Hilfe dieses künstlerischen Nebenerwerbes ein ganz behagliches Leben führen, zumal sie außerdem noch ein kleines Vermögen von ihren Eltern her besaß.

In der zweiten Etage desselben Hauses hatte der Vater der jungen Frau von einem kinderlosen Ehepaar die beiden Vorderzimmer gemietet. Hier hauste Michael Durgassow inmitten einer großen Bibliothek und einer Menge alter, vergilbter Handschriften, die er mit großem Eifer sammelte, – gleichgültig, in welcher Sprache sie abgefaßt waren. Der alte Herr hatte es mit seinem Zartgefühl verstanden, sich seinen Kindern immer nur zeitweise zu widmen, ohne ihnen je zur Last zu fallen. Seine Mahlzeiten nahm er meist außer dem Hause ein. Nur den Morgen- und den Nachmittagskaffee schickte ihm seine Tochter durch das Stubenmädchen täglich nach oben. – Durgassow war ein Mann von einer alles umfassenden Bildung. Nicht nur daß er fünf Sprachen völlig beherrschte, auch auf den Gebieten der Technik und Literatur zeigte er sich äußerst bewandert. Außerdem

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Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/17&oldid=- (Version vom 31.7.2018)