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abgeirrt. Vor ihm aus der Dunkelheit schien das liebliche Gesicht Anna Wielands aufzutauchen, das ihm mit eigenartig ernstem Ausdruck zunickte. Und dann verschwammen die Linien, und er sah ein anderes Bild, – daß der verwachsenen Tochter Jakob Wenzels, sah so deutlich ihre blassen melancholischen Züge mit den großen, wehen Kinderaugen darin. Und – war es denn ein Spuk, der ihn äffte – auch auf ihrem Gesicht lag ein trauriger Hauch. Und sie schien ebenfalls den Kopf wie warnend zu schütteln.

Ein unbehagliches Gefühl überkam ihn plötzlich. – War er denn mit seinen Nerven schon soweit herunter, daß er mit wachen Augen Gespenster sah?! – Hatte er sich doch zuviel zugetraut, als er diese Verantwortung auf sich nahm, einen Verfolgten vor seinen Feinden zu retten?! Das schloß er die Augen, um nichts mehr zu sehen. Nur Ruhe, Ruhe, die er so nötig gebrauchte. Bald fühlte er eine bleierne Müdigkeit in allen Gliedern, merkte, daß der Schlaf ihn übermannte.

Die schmale Verbindungstür nach dem Nebenabteil wurde vorsichtig geöffnet. Lautlos trat ein Mann herein, warf blitzschnell einen Blick umher und verschwand wieder.

Dreßler schlief jetzt vollkommen fest. Das verrieten seine tiefen, gleichmäßigen Atemzüge. Plötzlich schreckte er zusammen. Ein schwerer Körper lag auf dem seinen, hielt ihn in den Polstern fest. Über seinen Kopf war eine Decke geworfen, die ihn vollständig am Sehen hinderte. Gleichzeitig stieg ihm ein widerlich süßer Geruch in die Nase, den er nur zu gut kannte: Chloroform! Dieser betäubende Duft machte ihn vollends wach. Er wußte jetzt, in welch’ furchtbarer Gefahr er schwebte, hielt daher den Atem an und drehte sich blitzschnell, um den Angreifer abzuschütteln. Es gelang ihm nicht. Wie mit eisernen Klammern hielt ihn sein Gegner umschlungen. Jetzt mußte er endlich Atem holen. Das Blut sang ihm schon in den Ohren. Er sog den Chloroformdunst zugleich mit der Luft tief in die Lungen ein. Seine

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Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/71&oldid=- (Version vom 31.7.2018)